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Veränderung in der investigativen Arbeit durch Gemeinnützigkeit möglich 

Unabhängige Medien sind ein wichtiges Gut in der Demokratie. Im Wandel der Medienlandschaft steht die zukünftige Finanzierung aufwendiger Recherchen unter Druck. Eine Möglichkeit: Spenden – doch wie kann das funktionieren und was muss sich verändern? 

Ein Gastbeitrag von Annemarie Neumann

 Die eine Person lässt die Finger über die Computertastatur fliegen, während ein anderer den Kugelschreiber geräuschvoll übers Papier kratzt. So in der Art könnte der Beginn einer möglichen investigativen Geschichte aussehen. Das Recherchenetzwerk CORRECTIV geht neben Impulsen, die aus der Redaktion kommen, auch Hinweisgebern aus der Bevölkerung nach. Dies kann über verschiedene Wege erfolgen: per E-Mail, über verschlüsselte Dienstleister, per Post oder in direktem und persönlichem Austausch.

Investigativer Journalismus beschäftigt sich, im Vergleich zum Großteil der journalistischen Tätigkeiten, konkret mit dem kritischen Hinterfragen und Nachforschen von vorerst unscheinbaren Aspekten, hinter denen sich strukturelle Missstände, Korruption und unethisches Verhalten verbergen können. Denn wie CORRECTIV auf seiner Webseite beschreibt, hat der Journalismus eine essenzielle Kontroll- und Kritikfunktion in der Gesellschaft und gerade auch in der Demokratie.

Die Recherchen von Investigativ-Journalisten zeichnen sich durch langwierige Informationsgewinnung, tiefergehendes Zusammentragen von Fakten und großer Sorgfaltspflicht, auch für die Sicherheit der Hinweisgeber und Informationszuspieler, aus. 

 Gemeinnützigkeit in der Investigation 

Gerade diese grundlegenden Eigenschaften bringen hohe Personalkosten und Ressourcenaufwand mit sich, welche sich im rasanten Wandel der Medienlandschaft nicht viele Redaktionen leisten können. Ganz besonders zeigt sich das im Lokaljournalismus, aber auch in den fachspezifischen Redaktionen, erklärt CORRECTIV-Chefredakteur Justus von Daniels. Auch wenn in den vergangenen Jahren Redaktionen dazukamen, „gibt es immer noch genug Bedarf. Denn das ist genau das, wo das Gemeinnützige sinnvoll wird, wenn etwas nicht lukrativ ist, aber für die Demokratie wichtig ist, im Sinne von gutem Journalismus machen oder Medienbildung betreiben.“ Das kann sich gerade in der schnell wandelnden Medienlandschaft insofern bezahlbar machen, um sich dort über Wasser halten zu können. 

Der größte Aspekt, der Recherchenetzwerke wie CORRECTIV von den meisten anderen investigativen Redaktionen wie das Investigativ-Team der Süddeutschen Zeitung unterscheidet, ist die Gemeinnützigkeit. So besitzt die Non-Profit-Organisation keine Einnahmequellen durch Werbung oder Bezahlschranken. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Inhalte frei für alle zugänglich sind und jedem und jeder in der Gesellschaft die Möglichkeit gibt, sich zu informieren und sich in dieser mit einzubringen. Das Team um CORRECTIV besteht aus etwa 40-50 Personen. Die meisten davon sind fest angestellt an den zwei Standorten in Essen und Berlin. Um diese zu unterhalten, baut sich die Finanzierung aus Spenden privater Personen, Zuwendungen und Unterstützung von Stiftungen und Institutionen und dem Verkauf von Büchern auf.

Das Team um CORRECTIV besteht aus etwa 40-50 Personen, die meisten davon sind fest angestellt an den zwei Standorten in Essen und Berlin. Um diese zu unterhalten, baut sich die Finanzierung aus Spenden privater Personen, Zuwendungen und Unterstützung von Stiftungen und Institutionen und den Verkauf von Büchern auf. 

 Gesicherte Unabhängigkeit 

Charakteristisch für spendenfinanzierten Journalismus sind diese drei Finanzierungssäulen. In Verbindung mit der Offenlegung und Transparenz der Finanzierung, sowie einem festgelegten Leitbild durch den Redaktionsstatut „bieten diese eine größtmögliche Unabhängigkeit“. Von Daniels sieht genau darin einen der großen Vorteile des gemeinnützigen Journalismus. Bedenken, dass unter den Spenden die Unabhängigkeit leiden könnte, hat er nicht. Ab einer bestimmten Höhe wird konkret offengelegt, wer wie viel gespendet hat und bevor eine Spende angenommen wird, wird klar kommuniziert, dass durch die Unterstützung keine Orientierung oder Beeinflussung der Arbeit oder der Inhalte möglich ist. Somit hat der gemeinwohlorientierte Journalismus die Möglichkeit länger, tiefer und innovativer zu recherchieren. 

Auf der Webseite betitelt CORRECTIV den entstehenden Journalismus als „ein Mittel, um Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Je mehr Menschen mit den Mechanismen journalistischer Arbeit vertraut sind, desto stärker ist die Medienkompetenz und Debattenkultur einer Gesellschaft.“ 

Voraussetzung Gemeinnützigkeit 

Denn neben investigativem Journalismus müssen gemeinnützige Redaktionen auch Bildungsarbeit betreiben, um zur jetzigen Zeit als gemeinnütziges Medium agieren zu dürfen. CORRECTIV besitzt innerhalb dieses Schwerpunktes mehrere Einheiten. „Wir haben die Reporterfabrik, wir haben eine Jugendredaktion, das ist auch gleichzeitig die Ausbildungsredaktion Salon 5, die quasi gleichzeitig Journalismus und Bildung macht und das ist so der zweite Teil des Hauptankers von CORRECTIV“, erläutert der Chefredakteur im Interview die Bildungsarbeit. 

Diese Medienbildung kann aber im Umkehrschluss wieder dazu genutzt werden, um den Nutzerinnen und Nutzern zu zeigen, dass es sich rentiert, in den Journalismus zu investieren. Das haben viele Menschen in Deutschland schon verstanden, wie der Erfolg der vorhandenen Formate zeigt. Wobei im gemeinnützigen Journalismus auf jeden Fall Aufbaupotenzial vorhanden ist, wie ein Blick in die USA zeigt. Dort ist spendenfinanzierter Journalismus ein längst etabliertes Feld, bei dem sich die Spendensumme für einzelne Redaktionen pro Jahr im zweistelligen Millionenbereich befinden. 

Damit die Gemeinnützigkeit in Deutschland endlich gestärkt wird, schlossen sich Anfang 2021 gemeinwohlorientierte Medienprojekte wie CORRECTIV oder Netzpolitik.org, Zusammenschlüsse wie Netzwerk Recherche, Gewerkschaften wie der DJV und Stiftungen wie die Rudolf Augstein Stiftung im „Forum Gemeinnütziger Journalismus“ zusammen. Dort werden Expertise und Erfahrungen gesammelt und Qualitätsmerkmale für gemeinnützigen Journalismus in der Demokratie definiert. Denn die Form soll fest im Mediensystem verankert werden und mehr Rechtssicherheit bekommen. 

Politische Verankerung 

Dafür müsste aber die politische und gesetzliche Struktur in Deutschland geändert werden. In greifbarer Zukunft soll eine Gesetzesänderung stattfinden. Denn die neue Ampel-Regierung hat die größere Rechtssicherheit bereits im Koalitionsvertrag verschriftlicht. Für CORRECTIV ändert sich dabei zwar nicht viel, jedoch stellt es nach von Daniels eine Chance dar: „In Zukunft soll es einfacher sein, ein Medium zu gründen oder ein Geschäftsmodell umzustellen auf Gemeinnützigkeit. Das kann die Medienlandschaft fundamental verändern, weil ganz andere Medienformen damit möglich sind, die am jetzigen Markt eben schwer Chancen haben.“ Bestehende gemeinnützige Medien können dafür den bis dorthin vorhandenen Erfahrungsschatz für den Support von neuen Formaten beisteuern. 

Doch zurück in der Gegenwart liegen für alle Medien, gleich ob öffentlich-rechtlich, privatwirtschaftlich oder gemeinnützig, die Unsicherheiten der Finanzierungsmodelle in irgendeiner Art und Weise vor. Doch auf die Schnelle fällt von Daniels aus der Sicht des Chefredakteurs sonst keinen konkrete Hürden ein, die sein Team von der gewünschten Arbeit abhält. 

Zumal die verschiedensten Auszeichnungen, die CORRECTIV seit der Gründung erhalten hat, auch gegenüber den Finanzierern und Kooperationspartnern eine gewisse Sicherheit und ein gewisses Qualitätsmerkmal darstellt. Allein im Jahr 2021 bekam das Recherchezentrum vier Auszeichnungen. Die Recherche „Kein Filter für Rechts“ bekam neben dem „Reporter:innen-Preis“ in der Kategorie Datenjournalismus auch die internationale Auszeichnung „Sigma Award for Data Journalism“, die auch Redaktion wie die New York Times oder das Fernsehnetzwerk ABC News gewannen. Das zeigt, dass aus Deutschland stammender investigativer Journalismus in der Welt mithalten kann und dass die Gemeinnützigkeit einen Beitrag zum Erhalt der journalistischen Qualität und der Aufklärung als Basis der Demokratie und Gesellschaft leisten kann. 

Zukünftige Beteiligung 

Für die Zukunft sieht CORRECTIV vor allem eine Veränderung im Medienverhalten. Das sieht für Justus von Daniels folgendermaßen aus: „Ich würde das gerne konstruktiv nutzen, dass sich die Leute nicht von den Medien abwenden, weil sie diese für langweilig oder irrelevant halten, sondern dass sie zurückkommen und sagen, dass ist eigentlich spannend, was ihr da macht.“ Gerade auch partizipative Formate könnten funktionieren, um die Community von den sozialen Netzwerken in die Medien einzubeziehen. Dort ist der Großteil der Gesellschaft unterwegs. 

Denn wer kennt es nicht, mit dem Smartphone in der Hand scrollt man sich durch die Posts auf Facebook oder Instagram und kommentiert oder liked innerhalb weniger Sekunden Inhalte der Menschen, mit denen man sich vernetzt hat. Und irgendwann stößt man vielleicht auf einen interessanten oder seltsamen Kommentar oder Post, der einen zweifeln oder zum Nachdenken anregt. Dahinter könnte sich eine investigative Geschichte verbergen, die es vielleicht Wert ist nachzugehen. 

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