Prof. Claus Leggewie. Foto: Georg Lucas.
12. April 2021
Talkshows: Themeneinfalt mit den selben Expert:innen. Im Interview mit Claus Leggewie
Talkshows. Kaum ein anderes Fernsehformat wird derart heiß diskutiert. Zählt es zum Informations- oder Unterhaltungsprogramm? Sind die Moderator:innen Journalist:innen? Und warum sitzen meist die selben Personen auf der Gästebank? In einer Reihe von Interviews hat sich die Redaktion von Future Communication mit Talkshows und deren Aganda-Setting befasst. Im ersten Interview finden Sie Claus Leggewies Einschätzung der Lage.
Ein Gastbeitrag von Maria Schwarz
Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaft und seit 2015 erster Inhaber der Ludwig Börne-Professur an der Justus-Liebig-Universität als Senior-Professor am Zentrum für Medien und Interaktivität. Leggewie arbeitet an den Themen Klima- und Interkultur und ist ein gern gesehener Gast in deutschen Talkshows wie Maybrit Illner. Trotzdem findet er das Format Talkshow verbesserungswürdig. Der Politikwissenschaftler äußerte schon mehrfach Kritik an der Themenauswahl von Talkshows, aber nicht nur daran.
Der Begriff Talkshow beschreibt eine Mischung aus Diskussion und Unterhaltung. Wo aber liegt der Fokus? Im folgenden Gespräch mit Claus Leggewie sind wir unter Anderem diesen Fragen nachgegangen. Photo by Alberto Bigoni on Unsplash
Talkshows: Wer und was ist das eigentlich?
Fangen wir mal bei den Moderator:innen selbst an. Fast alle der populären Talkshowmaster:innen bezeichnen sich selbst als Journalist:innen. Zwar ist die Berufsbezeichung Journalist:in kein geschützter Begriff, dennoch liegt die Frage nahe, wie Sie diese Selbstbezeichnung einschätzen?
Leggewie: Wenn Talkshows Unterhaltung sind, müssen die Talkshowmaster:innen weniger Journalist:innen als Unterhalter:innen sein. Die Talkshow war ursprünglich ein kleines Freitagabendlagerfeuer, in dem man sich eher locker unterhielt über diverse Themen. Die Leute wurden nicht zu einem Thema zusammengesetzt, sondern man quatschte wie mit Freunden über Gott und die Welt. Das ist die Urversion der Talkshow: Wie zu Hause eine Runde von Leuten, die Einen eher crazy drauf und bei Anderen ging es vielleicht auch darum sein/ihr neustes Buch zu verkaufen oder besonders witzig zu sein und sich in das Gedächtnis der Menschen einzuschreiben. So laufen die Late Night Shows in den USA, das investigative Interview ist hier höchstens ein Nebeneffekt. Anne Will und Maybrit Illner sind wahrlich keine schlechten Journalist:innen, aber das Unterhaltungsformat kauft ihnen den Schneid ab. Ganz nach dem Motto: Jetzt wollen wir es mal nicht zu schwierig machen.
Wo wir gerade beim Thema der Überforderung sind. Es ist auffällig, dass verschiedene Talkshows gerne die selben Themen besprechen und gerne auch mehrmals. Inwiefern können und wollen die Redaktionen die Auswahl der Diskussionsthemen steuern und wie viel Einfluss habe Politikshows damit faktisch auf das Agenda Setting ein?
Leggewie: Ich habe gelegentlich mit Moderator:innen und Redakteur:innen darüber gesprochen, warum nicht mal ein anderes Thema möglich wäre und sie sagen: Nein wir müssen Tagesaktualität bieten: „Die Menschen“ wollen das jetzt, die sind jetzt mit Corona beschäftigt und wollen sich jetzt nicht über Landwirtschaft unterhalten. Die Talkshow läuft den allgemeinen Spitzenthemen nach, das heißt sie setzt keine Kontrapunkte, sondern sie surft meistens auf der Welle und macht genau das, was alle machen. So erlebt man in der Woche drei Mal eine Talkshow zum selben Thema auf verschiedenen Kanälen, auch wenn alle Argumente bereits ausgetauscht worden sind. Kaum eine Talkshowredaktion traut sich gegen den Strom zu schwimmen und zu sagen: Wir machen jetzt mal was Anderes. Wir machen gerade jetzt, wo alle über X reden Y, auf ein Thema aufmerksam, dass wir für wichtig halten und laden Leute ein, die hoch kompetent und überzeugend sind. Zur Themensetzungsillusion, die einmal Sabine Christansen in Anspruch genommen hat – also am Sonntagabend dem „Spiegel“ zuvorzukommen und den Takt der Bonner Politik zu bestimmen: Die Talkshows setzen keine Themen, sondern sie laufen den Themen hinterher. In der Regel sind es die Themen, die schon alle durchgekaut haben, die dann in der Talkshow auch noch mal besprochen werden. In einer Auswertung aus den Jahren 2015/16 wurde um die 80% über Migrant:innen und den Islam gesprochen, über den Klimawandel vielleicht einmal. Ich halte auch sozialpolitische Themen für viel wichtiger und ich glaube auch nicht, dass man in der BRD ununterbrochen über Donald Trump sprechen sollte.
Expert:innen: Im Westen nichts Neues!
Zurück zu den anwesenden Personen. Talkshows scheinen bei bestimmten Themen immer nur die gleichen Expert:innen einzuladen: In den Anfängen der Corona-Pandemie waren beispielsweise meist drei Virologen in den Medien present (Dr. Drosten, Dr. Streeck oder Dr. Kekulé). Wie bewerten Sie die Expert:innenauswahl und das daraus resultierende Risiko einer zu einseitigen Darstellung?
Leggewie: Talkshowredaktionen neigen dazu nach Prominenz zu verfahren, das heißt jemand der schonmal „im Fernsehen“ war wird auch gerne wieder genommen. In vielen Redaktionen gibt es Karteien, die einen als „Expert:in für…“ vorsehen. Das heißt man recherchiert nicht großartig, sondern man nimmt den, den man bekommen hat, solange diese Person OK war. Das OK-Prinzip ist sehr wichtig, denn wenn sich jemand danebenbenommen hat – also nicht unterhaltsam genug war, zu kontrovers oder nicht kontrovers genug, je nachdem – wird er/sie dann nicht mehr genommen. Das nächste Kriterium ist die Mischung: Man braucht ein bis zwei Wissenschaftler:innen plus Vertreter:innen der politischen Elite. Man gilt in Talkshows niemals als Professor:in X, sondern als „Expert:in für …“, es ist aber gut, wenn man Professor:in ist. Fernsehen ist zudem ein nachgeordnetes Medium, das heißt das Fernsehen macht selten als Erster mit einer Position und Person auf. Man wird oft zuerst für ein Zeitungs- oder Rundfunkinterview angefragt und erst danach gebeten, das Ganze nochmal vor der Kamera zu erzählen. Demnach ist der Mehrwert an Information in Talkshows gegenüber dem, was interessierte Zeitgenossen schon gelesen haben könnten, relativ begrenzt. In der Pandemie zeigt sich, wie wenig sie zur Faktenanalyse beitragen, umso mehr zur Stimmungsmache.
Liegt das vielleicht auch an den Gästen von Talkshows? Laut der Studie „Die Talkshow Gesellschaft“ sind 42,6 Prozent der eingeladenen Gäste parteipolitische Vertreter:innen, weitere 22,9 Prozent sind Journalist:innen. Insgesamt stammen also zwei Drittel der Polit-Talkshow-Gäste aus dem Bereich der Parteien und der Medien. Wie müsste, Ihrer Meinung nach, die ideale Talkshow Besetzung aussehen, um umfassend repräsentativ sein und zur objektiven Meinungsbildung beitragen zu können?
Leggewie: Die von Ihnen genannten Zahlen deuten darauf hin, dass sich die politische Klasse oft nur mit sich selbst unterhält. Journalist:innen sind sehr nah bei den Parteipolitiker:innen und Parteipolitiker:innen achten sehr darauf, was Journalist:innen sagen. Das hat gewissen Unterhaltungswert, ich würde bevorzugen, dass die Menschen als Individuen dort sitzen und ihre Meinung sagen und nicht als Repräsentant:innen irgendeiner Minder- oder Mehrheit. Und mehr redegewandte „Normalos“ aus der Bürgergesellschaft, die bitte nicht durch Kabarettist:innen und Schauspieler:innen vertreten werden. Die Überrepräsentation von Parteien hängt damit zusammen, dass wir eine Parteiendemokratie sind. Dann nimmt man Journalist:innen hinzu, weil diese oft besser reden können als Wissenschaftler:innen. Bei den Wissenschaftler:innen besteht immer die große Angst, sie seien zu kompliziert – eine Verhöhnung des Publikums.
Gerade der politische Hintergrund der Gäste steht oft in der Kritik. Dabei sind Konflikte bezüglich der Anzahl an Vertretern der jeweiligen Parteien vorprogrammiert. Speziell die Zentrumsparteien fallen hier mit weitaus höheren Werten gegenüber Anderen auf. Wie bewerten Sie das zu Wort kommen und die Darstellung der politischen Parteilandschaft in Talkshows?
Leggewie: Das hat mit Journalismus nichts zu tun, Parteienproporz sollte sich in einer Talkshow nicht niederschlagen, sondern Leute, die etwas zu sagen haben. Auch, wenn dort drei von der SPD säßen (was natürlich sofort moniert werden würde und im vornherein schon nicht passiert) kann die Diskussion interessanter sein als, wenn man von drei Parteien unterschiedliche Leute hat. Das Diskutieren mit den Rechten halte ich für problematisch. Es soll passieren. wir haben Meinungsfreiheit, ich habe nichts dagegen. Wer eine/n AFD-Politiker:in unter Druck setzt, bewirkt meist nur, dass der- oder diejenige AFD-Politiker:in noch mehr Zuspruch hat als vorher, denn der Märtyrer der verfemten Meinung in den „Feindsendern“ ist ja genau die Inszenierung der Rechten.
Bezüglich des rechten Flügels. Mit Gästen jener Gruppe versuchen Talkshows die Diskussionen oft emotional durch Konflikte aufzuheizen. Damit wird rechtsextremistischen Aussagen und Hass zusätzlich Raum gegeben. Halten Sie das für bedenklich oder gar gefährlich? Was macht das mit der Gesellschaft?
Leggewie: Die Gastauswahl hat wie gesagt mehr mit dem Unterhaltungs- und Proporzfaktor zu tun als mit der tatsächlich journalistischen Investigation oder der Aktualität des Informationswerts. In einer Talkshow einer/m Klimaschützer:in eine/n Klimaleugner:in gegenüberzusetzen, ist völlig sinnlos. Ich bin ein radikaler Verfechter der Meinungsfreiheit und bei uns kann jeder sagen was er denkt. Es gibt aber Grenzen der Meinungsfreiheit, die sind verfassungsrechtlich und strafrechtlich geboten. Es findet seitens der Rechten ein systematischer Missbrauch der Meinungsfreiheit statt, bis zu dem Punkt, wo sie dann, wie im Fall Donald Trump und seiner paranoiden Gefolgschaft, wirklich kaum noch aufrecht zu erhalten ist. In der Zerstörung der liberalen Öffentlichkeit besteht ja die Mission der antidemokratischen Rechten.