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Innovation in der Medienpolitik durch die Ampel-Regierung

Demokratie wird durch konstruktive und öffentliche Debatten beeinflusst. Dafür braucht es transparente Medien, die Skandale und Missstände aufzeigen. Doch wie können journalistische Innovationen, mit Blick auf die momentane Medienkrise, in Zukunft aussehen?

Ein Gastbeitrag von Annemarie Neumann

„Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“, so hat es die neue Bundesregierung auf Seite 123 des Koalitionsvertrags festgehalten. Was vorerst nur als kleiner Satz im gesamten Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP steht, kann viel in der Medienlandschaft ändern und für Innovation im Journalismus sorgen.

Denn der Wandel der Medien ist kaum zu leugnen. So zeigt eine Studie des Reuthers-Instituts aus dem Jahr 2019, dass der Journalismus zwar wichtiger, aber weniger robust wird und dass sich die Zukunft des Journalismus direkt auf die Gesellschaft und die bestehenden Strukturen niederschlägt. Doch vergangene Debatten behandelten mehr die wirtschaftlichen und messbaren Faktoren als die gesellschaftlichen Auswirkungen.

Funktionen der Medien für die Gesellschaft. Bild: bpb.

Die Verkleinerungen von Redaktionen, die damit verbundenen Entlassungen Medienschaffender und ganze Schließungen (lokaler) Redaktionen lassen nach und nach die Medienvielfalt und die flächendeckende Berichterstattung über Missstände verschwinden. Doch bei diesen Auswirkungen soll es nicht bleiben. In den USA fand man in einer Studie heraus, dass durch diese Entwicklungen die Wirtschaftskriminalität zunahm. Die wahrgenommene Kontrollfunktion des Lokaljournalismus fiel weg.

Dabei sieht auch die Bundeszentrale für politische Bildung die Kontrollfunktion als eine der drei Kernfunktionen der Medien für eine demokratische Gesellschaft. Also stellt sich die Frage, wie man diese entstehende Lücke schließen kann. Genau an dieser Stelle kommt der gemeinnützige Journalismus zum Tragen. Der Chefredakteur Justus von Daniels von CORRECTIV sieht im Interview den Vorteil gemeinnütziger Redaktionen darin, „eine Lücke des investigativen Journalismus zu füllen. Denn es gibt zwar investigativen Journalismus, aber nicht in der Stärke und in der Kraft wie es eigentlich nötig ist.“

Gemeinnütziger Journalismus

CORRECTIV ist seit 2014 das erste spendenfinanzierte Recherchezentrum in Deutschland, das anstatt Gewinnorientierung auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Neben solchen Non-Profit-Redaktionen gibt es auch Vereine und Verbünde, die den Recherchejournalismus durch Austausch und Wissenstransfer fördern wollen. Netzwerk Recherche setzt dabei auf Konferenzen, Webinare und Workshops, um die Recherchekompetenz im Journalismus in allen Bereichen der Recherche zu erhöhen, aber eben auch besonders im investigativen Journalismus.

Um als gemeinnützige Organisation zu gelten, muss neben der journalistischen Arbeit auch Bildungsarbeit betrieben werden. Die grundsätzlichen Schwerpunkte liegen daher bei CORRECTIV auf frei verfügbarem investigativem Journalismus, einem Bildungsauftrag durch Schulung der Medienkompetenz und der Partizipation bzw. Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Recherchen. Gerade diese Bildungsarbeit hilft, die Bedingung zur Teilhabe an einer Debattenkultur in der Gesellschaft zu verbessern. Denn in der digitalen Welt ist es heutzutage einfacher denn je, sich als Individuum kommunikativ in der Gesellschaft zu beteiligen.

Um Demokratie zu schaffen, sieht der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller in seiner Publikation „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ unabhängige und freie Medien für die Öffentlichkeit in politischen Debatten und die Bürgerinnen und Bürger in entscheidenden Rollen. Denn dadurch sollen demokratische Prinzipien verteidigt werden. Darauf baut auch die Idee von CORRECTIV für die Zukunft auf, so der CORRECTIV-Geschäftsführer David Schraven: „eine redaktionelle Gesellschaft, die für die Fortentwicklung der offenen Gesellschaft steht. Ohne informierten Diskurs gibt es keine offene Gesellschaft“.

Dabei stellt sich die Frage, inwiefern sich die Vorstellungen der Medienbranche mit dem Rollenverständnis der Bevölkerung deckt. Die Studie „was Journalisten sollen und wollen“ von Wiebke Loosen, Julius Reimer und Sascha Höllig fand heraus, dass „Quellentransparenz und kritischer, investigativer Journalismus in den Augen der Bevölkerung eine besondere Bedeutung“zukommt. Somit sei festgehalten, dass die investigative Unterstützung des Journalismus durch gemeinnützige Recherchenetzwerke diese Anforderung erfüllen könnte, auch in der Zukunft.

Förderung und Finanzierung

Die Einschätzung von Experten aus der Medienbranche zu einem weiteren möglichen Weg zur Presseförderung hält die Studie „Innovationsreport Journalismus. Ökonomische, medienpolitische und handwerkliche Faktoren im Wandel“ fest. Während gegenüber staatlicher Förderung direkte und indirekte Einflüsse befürchtet werden, stehen die Befragten gemeinnützigen Stiftungen und Spenden positiver gegenüber.

Das deckt sich mit den Finanzierungsmodellen von Netzwerk Recherche und CORRECTIV. Der Verein Netzwerk Recherche steht neben den Mitgliedsbeiträgen auch durch projektgebundene Gelder von Stiftungen finanziell gut dar. CORRECTIV finanziert sich neben privaten Spenden von Bürgerinnen und Bürgern, auch durch Zuwendungen von Stiftungen und Institutionen und eigene Einnahmen beispielsweise aus Buchverkäufen. Um die Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten, wird versucht viele Kleinspender zu erreichen, erläutert von Daniels. Außerdem „wird eine Spende ab einem gewissen Betrag offengelegt. Stiftungen und größere Spender dürfen uns Geld für unsere Finanzierung und für unsere Arbeit geben, aber sie können uns nicht sagen, was wir damit machen sollen“. Dafür sind die Ergebnisse der Recherchen, so der Chefredakteur für jeden frei verfügbar. Zudem erhält CORRECTIV als gemeinnützige GmbH gesellschaftliche Unterstützung durch Steuererleichterungen.

Im Gegenzug für die Finanzierung muss sich der gemeinnützige Journalismus aber auch beweisen. Denn „Journalismus braucht ein Publikum und muss sich deswegen für seine Erwartungen interessieren – was nicht gleichbedeutend damit ist, sie alle auch erfüllen zu müssen“, beschreiben Loosen, Reimer und Höllig das Verhältnis zwischen Publikum und Journalismus. Erfolgt also keine sinnvolle, gute und qualitative Arbeit, macht sich das in der Spendenfinanzierung bemerkbar.

Der Austausch und die Zusammenarbeit spielen bei dem gemeinnützigen investigativen Qualitätsjournalismus bei CORRECTIV eine Rolle. Bild: Ivo Mayr/ CORRECTIV.

Um die Qualität der journalistischen Arbeit und die Unabhängigkeit aufrecht zu halten hat sich CORRECTIV eigens und im Zusammenschluss „Forum Gemeinnütziger Journalismus“, als Vereinigung der Medien-Non-Profit-Organisationen, zu Transparenz, selbstloser und sorgfältiger Arbeit im Redaktionsstatut beziehungsweise in den Leitlinien verpflichtet. Dabei orientiert sich letzteres am Pressekodex des Deutschen Presserats, den Kriterien der Initiative Transparente Zivilgesellschaft und der steuerrechtlichen Abgabenordnung.

Aus dieser Qualitätsverpflichtung und der Unabhängigkeit von Verlegern ist die Frage nach der Berechtigung und Lebensfähigkeit des gemeinnützigen Journalismus neben öffentlich-rechtlichen und privaten Medien grundlegend geklärt. Die Bereitschaft für guten Journalismus zu zahlen, scheint in der Bevölkerung und unter den Stiftungen vorhanden zu sein. Sie bietet Chancen, neben den anderen beiden Säulen, den privatwirtschaftliche Medien und öffentlich-rechtliche Anstalten, in der Medienlandschaft zu agieren und das Angebot zu vervollständigen.

(Gesetzliche) Strukturen

Damit der gemeinnützige Journalismus mehr in Anspruch genommen werden kann und als Lösungsansatz für den schrumpfenden (Lokal)journalismus fungieren kann, benötigt es jedoch die größere Rechtssicherheit. Diese stellt der neue Koalitionsvertrag in Aussicht.

Die auf diese Weise entstehende bundesweite Regelung führt zu einer strukturellen Änderung, die ein neues Konzept des bürgernahen Journalismus ermöglichen würde. Als neue Geldquelle für Medienschaffende in der Medienkrise kann das besonders für den lokalen Raum positive Auswirkungen mit sich bringen, um den dortigen Journalismus aufrechtzuerhalten. Dabei können bestehende Organisationen wie CORRECTIV als Beispiel und Kooperationspartner vorangehen. Denn auch schon heute ist das Recherchenetzwerk in Zusammenarbeit mit vielen Redaktionen tätig und wirkt dabei als Vorbild und Unterstützung.

Aus diesem Medienwandel ergibt sich dann auch im Umkehrschluss eine Entwicklung der Gesellschaft. Sind die Hindernisse erstmal abgebaut, so liegen in gemeinnützigen Recherchenetzwerken zukunftsfähige Innovationsmöglichkeiten für den Journalismus. Die gemeinsamen Bestrebungen können dann zu konstruktiven und öffentlichen Debatten führen, die maßgeblich zur Demokratie beitragen.

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