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Die gesellschaftliche Bedeutung von Technik: Wissenschaftsredakteurin Julia Koch im Interview.

Wissenschaftsredakteurin Julia Koch über den ersten weiblichen Crashtest-Dummy „Eva“, die Sicherheitsnorm „junger Mann“ und die fehlende Sicherheit von Frauen, Älteren und Kinder beim Unfallschutz. 

Ein Gastbeitrag von Abdülbaki Sürüm

Wissenschaftsredakteurin Julia Koch über den ersten weiblichen Crashtest-Dummy „Eva“, die Sicherheitsnorm „junger Mann“ und die fehlende Sicherheit von Frauen, Älteren und Kinder beim Unfallschutz. 

Julia Koch ist studierte Humanbiologin und arbeitet seit 1999 beim SPIEGEL und dort seit 2003 im Ressort Wissenschaft und Technik als Wissenschaftsredakteurin. Verkehr und Verkehrssicherheit greift sie oft als Thema auf, so zum Beispiel in ihrem Beitrag über Unfallforschung oder beim Bericht über das Zusammenwirken von Hirnforschung und Technikentwicklung für bessere Navigationssysteme.

Das Thema Crashtests und die Gefahren fehlender Diversität für Beteiligte in Unfällen griff sie im Frühjahr 2022 auf, Monate bevor der erste weibliche Crashtest-Dummy „Eva“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ihre Kritik: Unfallschutz in Autos ist für junge Männer ausgelegt. Für Frauen, Kinder und alte Menschen könne das lebensgefährlich werden. Denn von der Tatsache, dass Autos immer sicherer werden profitieren eben nicht alle Gesellschaftsgruppen gleichermaßen. Hersteller verbesserten Gurte, entwickelten Airbags oder Kindersitze und bauten widerständigere Karosserien. „Doch der schützenswerte Körper in ihren Tests und Simulationen war meist ein männlicher.“ Und das ist fatal in Gesellschaften, in denen mehr Senioren in immer höherem Alter hinter dem Steuer sitzen, die aufgrund der veränderten Anatomie andere Schutzwirkungen brauchen. Koch fordert Wissenschafts- und Technikjournalismus auf, nicht nur die technischen Details zu betrachten, sondern nach den gesellschaftlichen Wirkungen zu fragen. 

Wie sind Sie auf das Thema Crashtest-Dummy „Eva“ gestoßen? 

Ich hatte vorher schon mal eine Meldung zu diesem Thema gemacht. Da ging es um einen Test mit dem „Elderly Dummy“, das ist eine ältere Person. Darauf aufmerksam gemacht hatte mich damals die Deka selbst, wo die Tests liefen. Dann hatte ich ausgehend von dieser Meldung das Gefühl, dass das Thema insgesamt interessant ist und es noch einmal für den längeren Artikel aufgegriffen, den sie gesehen haben: „Warum Crashtest-Dummys diverser werden müssen“. Da habe ich dann wieder mit den Test-Experten der Prüfgesellschaft Dekra, mit Dummy-Herstellern und Entwicklern gesprochen. Ich muss aber sagen, dass ich keine Technikjournalistin im Hauptberuf bin. Ich habe ein relativ breites Spektrum und deshalb ist mein Blick darauf wahrscheinlich ein bisschen offener. Ich finde die Verbindung von Mobilität und deren gesellschaftliche Bedeutung interessant. 

Haben Sie das Thema des Crashtest-Dummys in der Redaktionskonferenz besprochen? Wie waren die Reaktionen darauf? 

Ja, das Thema wurde besprochen. Das machen wir immer so und dann taucht es auch in den Themenankündigungen auf. Aber außer „oh ja, ist interessant, mach mal“ gab es keine großartigen Reaktionen. 

Welche Reaktionen gab es dann nach dem Erscheinen von dem Artikel? 

Ich erinnere mich daran, dass es von mindestens einem vielleicht auch mehreren Forschenden Reaktionen gab, die dann sagten „Ich mach das doch auch, warum haben Sie denn nicht mich gefragt?“ Ansonsten haben wir nicht nur Leserbriefe, sondern eben auch die Online-Kommentare unter den Artikeln bekommen. Aber da kann ich mich jetzt nicht an irgendwas besonders Kritisches, Ablehnendes oder Weiterführendes erinnern.  

Was halten Sie davon, dass jahrzehntelang die Diversität bei Crashtests außen vorgelassen wurde? 

Das ist natürlich ein Versäumnis. Das gilt aber für relativ viele Bereiche nicht nur in der Technik, sondern auch in der Medizin, wo immer ein Prototyp ausgewählt wird und das dann in der Regel den Durchschnittsmann als Maßstab setzt. Aber gerade bei den Crashtest-Dummys zeigt sich ja wirklich, dass dies große Probleme birgt, weil dies gar nicht die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer widerspiegelt. Wobei natürlich bei der Sicherheitstechnik von Autos nicht alle Erkenntnisse an Dummys getestet werden.  

Was halten Sie von der Berichterstattung über dieses Thema? 

In der Vorbereitung habe ich mir Artikel zu diesem Thema angeschaut. Viele davon kratzen allerdings nur an der Oberfläche und beschreiben nur die Tests. Ich hatte das Gefühl, da geht jemand mal in ein Crashtest-Zentrum und guckt sich an, was da so passiert. Darüber hinaus wird nicht viel gemacht. 

Es wird zwar über die Crashtests und „Eva“ berichtet, aber es gibt wenig Kommentare von Journalisten dazu. Wieso denken Sie, ist das so? 

Wahrscheinlich, weil die meisten Journalisten, die regelmäßig über Technik, Autos, Verkehr und so weiter berichten, sich sehr für die technischen Gegebenheiten interessieren. Jemand wie ich, der sich einfach nicht wahnsinnig für Autos interessiert, hat dann auch mal einen Blick darüber hinaus. Nicht nur „Was ist das für tolles Auto?“, sondern was hat das Ganze für eine gesellschaftliche Bedeutung? Das ändert sich aber, glaube ich, mit den vielen Diskussionen rund um die Verkehrswende. 

Haben Sie das Gefühl, dass eine gewisse Angst herrscht, über Geschlechterungleichheiten zu berichten? Im ZDF heute journal wurde eine KI interviewt, „Jenny“, die als Frau mit sanfter Stimme dargestellt wurde. Direkt gab es auf Twitter zwei Lager, die aufeinander losgingen. 

Natürlich ist Twitter eine Plattform, auf der die Leute auch aufgeregter sind als anderswo. Richtige Angst glaube ich nicht. Aber ich glaube schon, dass die Sensibilität gestiegen ist dafür. Wir haben auch früher im Spiegel niemals gegendert, jetzt machen wir zwar keine Punkte und Sternchen aber versuchen schon, beide Geschlechter oder wie viele auch immer man da jetzt voraussetzt, abzubilden – indem wir zum Beispiel dann „Forschende“ sagen und nicht mehr „der Forscher“. 

In unserer Analyse kam zum Vorschein, dass das Team um die Forscherin Linder spätestens seit 2011 intensiv zum Thema besonderer Gefährdung von Frauen in KFZ geforscht und wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht hat. Nur: nur diese langjährige Arbeit kam in keiner Berichterstattung vor. Haben Sie hierfür eine Erklärung? 

Naja, das ist wirklich schwer zu sagen. Allein, dass es Publikationen gibt, bedeutet ja nicht, dass es sofort aufgegriffen wird. Oft ist das so: einer schreibt da mal was darüber und die anderen sehen das und denken sich: „interessant, darüber schreibe ich auch.“ In meinem Fall war das so, dass die Leute von Dekra auf mich zugekommen waren. 

Sollte man in der Technikberichterstattung oder auch in der Politikberichterstattung mehr auf solche Themen und ein existierendes Gender-Gap aufmerksam machen, zum Beispiel bei einer feministischen Stadtplanung, einer gendergerechten Medizin oder einer gendersensiblen Mobilitätsplanung? 

Das finde ich schon. Mit der gendergerechten Medizin habe ich mich selbst schon beschäftigt und da ist es ja so, dass es richtig nachteilig sein kann, da man hauptsächlich männliche Versuchstiere benutzt, um Erkenntnisse zu gewinnen. Man muss aber auch nicht hysterisch feministisch schreien, um das zu fordern. Es ist einfach die Hälfte der Bevölkerung. 

Haben Sie Erfahrung bezüglich des Gender-Gaps in der Technikkommunikation oder im Journalismus selbst gemacht? 

Ich habe vor kurzem etwas über die Unfallforschung gemacht und was natürlich auffällt ist, dass die Leute, mit denen ich zu tun hatte, fast nur Männer waren. Gerade bei Dekra beispielsweise. Da habe ich einen Unfallanalytiker begleitet und auch mit der Abteilung gesprochen. Die haben in der Abteilung zehn Frauen und 100 Männer. Aber fängt ja schon bei den Ingenieursstudiengängen schon an. 

In Erhebungen aus einem vorherigen Seminar wurde deutlich, dass Gendersensibilität in Technikentwicklung, Technikanwendung und die entsprechende Beurteilung von Technikfolgen weder in der technischen Ausbildung von Redakteurinnen und Redakteuren noch im Volontariat oder der journalistischen Ausbildung angesprochen wurde. War das in Ihrem Werdegang ebenso? 

Das würde ich schon sagen. Ich bin Humanbiologin von der Ausbildung her. Da waren wir wahrscheinlich 50/50 Frauen und Männer. Aber man sieht auch schon da, dass die Leute, die wirklich in der Forschung geblieben sind, in großer Zahl die Männer waren, weil die Frauen sich oft anders orientiert haben. Das dominiert natürlich auch die Wissenschaft an sich und damit auch die Kommunikation darüber. Ich glaube aber schon, dass sich das ändert, wahrscheinlich auch im technischen Bereich. 

Kommilitonen sind bei Leitfadeninterviews mit Redakteurinnen auf viele Vorbehalte gestoßen – viele wollten sich nicht oder wenn doch, dann nur im Einzelgespräch anonym zum Thema Gendersensibilität äußern. Wie gehen Sie in der Redaktion oder auch Sie persönlich mit diesem Thema um? 

In der Redaktion ist es inzwischen selbstverständlich. Es ist schon so, dass wir auch wirklich bewusst darauf achten und uns fragen „zeigen wir da jetzt immer nur Kerle“. Wir achten auch auf Diversität im Allgemeinen zum Beispiel in Bezug auf einen Migrationshintergrund. Die Diversität, die es ja gibt, muss auch vorkommen. Wir haben festgestellt, dass es nicht von alleine geht, sondern man wirklich erst darauf achten muss. 

Sehen Sie vor diesem Hintergrund Anlass für Verbesserungen und wenn ja, wo und wie? 

Im Technikjournalismus allgemein ist es natürlich hilfreich, wenn Menschen verschiedener Herkunft, Männer und Frauen gleichermaßen arbeiten. Aber wie gesagt, ich glaube schon, dass sich in Sachen Diversität im Vergleich zu vor zehn, 20 Jahren schon viel verändert hat. 

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