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Talkshows: Politik als Unterhaltung. Im Interview mit Christoph Bieber

Talkshows. Kaum ein anderes Fernsehformat wird derart heißer diskutiert. Zählt es zum Informations- oder Unterhaltungsprogramm? Sind die Moderator:innen Journalist:innen? Und warum sitzen meist die selben Personen auf der Gästebank? In einer Reihe von Interviews hat sich die Redaktion von Future Communication mit Talkshows und deren Aganda-Setting befasst. Im zweiten Interview finden Sie Christoph Biebers Einschätzung der Lage.

Ein Gastbeitrag von Elena Pruchniewski

Christoph Bieber ist lehrender Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und spricht mit uns über immer wieder lautwerdende Kritik an Polit-Talkshows. Umstritten sind vor allem die Themensetzung und Gastauswahl.

In den USA sind late night shows das passende Equivalent zu unseren Talkshows. Jedoch sind diese ehr eine Mischung aus Comedy und Talkshow und setzen mehr auf einzelne Gäste, sind aber ebenso stark an der politischen Meinungsbildung beteiligt (deutsche Beispiele sind: ZDF NEO Magazin Royal oder Stephan Raab). Photo by Arthur Osipyan on Unsplash

Talkshowkonzeption: Ein Drahtseilakt

Oftmals hat man das Gefühl, es kommen zu bestimmten Themen immer nur die gleichen Experten zu Wort. Wie bewerten Sie das dadurch entstehende Risiko einer einseitigen Darstellung und somit Meinungsverbreitung besonders im Hinblick auf Bereiche wie Wissenschaft und Politik, in welchen eine objektive Berichterstattung maßgebend ist?

Bieber: Nun, dass immer die gleichen Gäste auftreten, könnte man vielleicht als anekdotische Evidenz bezeichnen. Hier müsste man wirklich systematisch notieren, wer wirklich teilnimmt – die Wahrnehmung kann auch nur ein Kurzschluss sein, weil man nie alle Talkshows schaut. Doch es stimmt – bei den Sendungen mit prominenten Sendeplätzen hat man schon den Eindruck, dass es ein kleines Set von Politiker:innen oder Sachverständigen ist, die immer wieder einbestellt werden. Im Corona-Fall muss aber man differenzieren: Gerade bei diesem Thema wurde die Zusammenstellung der Expert:innen schon früh hinterfragt. Es schien, als gäbe es durch die Bundesländer hinweg Sachverständige, die sich gut mit den jeweiligen Ministerpräsident:innen verstehen. Aber vielleicht wurden sie auch einfach nur von der lokalen Rundfunkanstalt angefragt, die die Sendung produziert. All das sind erst einmal nur Vermutungen dazu, warum genau diese Personen in einer Talkshow sitzen. In der Coronazeit habe ich allerdings den Eindruck, dass es sogar eine relativ große Spannbreite gibt. In den letzten Wochen habe ich gefühlt eine größere Auswahl – Männer und Frauen – gesehen, als sagen wir mal bei den so genannten „Wirtschaftsweisen“.
Nun zur Politik. Hier haben wir sogar noch stärker als bei den Fachexpert:innen den Fall, dass es vielleicht zwei oder drei Politiker:innen aus den großen Parteien gibt, die wirklich sehr häufig in den Sendungen auftauchen. Das wird aus Sicht der Produktionsfirmen gerne damit begründet, dass diese Personen auch besonders relevant sind – weil sie Regierungsmitglieder:innen oder Ministerpräsident:innen sind. Das kann natürlich auch zum Problem werden, wenn diese Personen dann zu völlig unterschiedlichen Themen befragt werden und sie vielleicht gar nicht so viel sagen können. Man erkennt schnell: Ein wichtiger Faktor ist die Produktionslogik, die mit dem Format Talkshow verhaftet ist – es geht eher um Bekanntheit als um Expertise.

Inwiefern sehen Sie die Redaktionen bezüglich der Auswahl der Diskussionsthemen in der Verantwortung? Gibt es Ihrer Meinung nach Themen, die für deutsche Polittalkshows weniger hochfrequentiert thematisiert werden sollten?

Bieber: Der aktuelle Themen-Mix der Talkshows ist nicht schlecht, er entspricht dem Angebot anderer traditioneller Medienumgebungen, also Zeitungen und Nachrichtensendungen. Die Medienlandschaft ist in Deutschland immer noch divers und vielschichtig genug. Auch die Talk-Formate in kleineren Sendern greifen viele Themen lokal und regional auf. So tragen sie einen guten Teil zur Aktivierung des öffentlichen Diskurses bei und formen die politische Agenda für Politik und Zivilgesellschaft. Doch die Konkurrenz schläft nicht: Facebook, YouTube, Twitter, Instagram, vielleicht sogar TikTok drängen schon auf die Wachablösung.

Die CDU/CSU war im Jahr 2019 am stärksten in Polittalkshows vertreten, die SPD belegt Platz 2 und die Grünen Platz 3. Stimmen der AfD lassen eine Unzufriedenheit bezüglich der Unterrepräsentation der eigenen Partei verlauten. Wie bewerten Sie die Darstellung der politischen Parteilandschaft in Talkshows?

Bierber: Es gibt ein großes Interesse der Sender, die politische Landschaft divers und breit abzubilden. Es mag ja sein, dass sich die AfD unterrepräsentiert fühlt, aber das ist das Schicksal einer vergleichsweise kurz im Parlament vertretenen Partei. Die AfD ist immerhin die größte Oppositionspartei im Bundestag und sie wird auch entsprechend berücksichtigt. Zu Beginn der Legislaturperiode wurde sie eher zu stark berücksichtigt und nun wirkt diese Welle der Empörung eher aufgesetzt. Viele Medienanbieter:innern haben AfD-Vertreter:innen frühzeitig und häufig eingeladen, im Wissen über die „lebhafte Diskussion“, die dann entstehen würde. Mit einer angemessenen Darstellung der politischen Stärke hat das aber wenig zu tun. Die – durchaus berechtigte – Frage, ob man mit den Rechten reden soll, wird auch in den Talkshows wahrgenommen. Deshalb schaut man den Sendern auch genauer auf die Finger – wer wird eingeladen und welchen Raum gesteht man Kräften zu, die sich offen antidemokratisch verhalten. Dabei wird der Auftrag der öffentlich-rechtlicher Anbieter:innen reflektiert: Über das Thema muss berichtet werden, aber trotzdem muss nicht in jeder Woche ein(e) Vertreter:in der AfD in einer Talkshow sitzen.

Annalena Baerbock und Norbert Röttgen galten im Jahr 2019 als die am häufigsten geladenen Talkshow-Gäste. Prägen solche Rollenbilder (am oben genannten Beispiel: Norbert Röttgen/CDU, weiß, Cis-Mann, mittleren Alters vs. Annalena Baerbock/Die Grünen, Ende 30, weiblich) die Wahrnehmung der Partei in der Gesellschaft?

Bieber: Ich würde den Aspekt der Personalisierung nicht so stark gewichten. Sicher färbt das Image einzelner Politiker:innen auf das Image der Partei ab. Doch vermutet man da ein bisschen zu viel Kombinationsgabe im Publikum – so dominant und prägend sind die wenigsten Politiker:innen in Deutschland. Ich glaube, es ist viel einfacher: Es besteht ein enges Netzwerk zwischen (Berliner) Politik und dem Hauptstadt-Journalismus. Da sind die vielen Visitenkarten, E-Mailadressen und Telefonnummern eingespeichert bei den Produktionsfirmen und das ist die Basis für die Programmplanung. Im Laufe der Zeit, vor allem seit dem Umzug nach Berlin in den 1990er Jahren, hat sich ein dichtes Geflecht entwickelt, dass sehr genau die enge Verbundenheit von politischem und medialem System illustriert. Das ist nichts, was von gestern auf heute passiert, sondern ein schleichender Prozess, der über 15 oder auch 20 Jahre läuft. Das politisch-mediale System in der Hauptstadt kennt sich ganz gut – und so ist es ein vergleichsweise abgeschlossener Zirkel, der über die Besetzung der Talk-Runden bestimmt.
Hier hilft auch der Hinweis, dass man in den politischen Talkshows anfangs dachte, man baue eine Plenar-Situation nach und schafft dadurch ein Abbild des Parlaments, dass dann als Forum für politischen Streit fungiert. Talkshows sollten eine Übersetzungsfunktion für die Bürgerschaft haben. Davon hat man sich über die Jahre entfernt. Denn natürlich sind Talkshows kein Ersatz-Parlament, sie sind Fernsehen, genauer gesagt Unterhaltungsfernsehen. So muss man damit auch umgehen, und eben gerade nicht als Verlängerung einer Nachrichtensendung.

Talkshows vom aussterben bedroht?

Anne Will, Einschaltquotenstärkste Polittalkshow, verlor von den Jahren 2016/17 auf 2018/19 rund 400.000 Zuschauer, diese liegen nun bei 3,36 Millionen. Wie schätzen Sie allgemein den Einfluss von Talkshowdiskussionen auf den politischen Diskurs und auf die politische Meinungsbildung des Publikums ein – auch im Hinblick auf die schwindende Bedeutung von analogen Fernsehformaten?

Bieber: In der Tat, die Mediennutzung verändert sich, junge Menschen wie Sie schauen kein lineares Fernsehen mehr – zumindest sagen das die Studien. Die Inhalte werden dann eben über andere Kanäle wahrgenommen, vielleicht nicht mehr als ganze Sendung, sondern es wird auf bestimmte Teile zugegriffen, die über soziale Netzwerke geteilt werden. Talkformate im TV lehrt wirken nach wie vor recht stark, weil sie noch immer die zentralen Wege der Informationsvermittlung oder auch der Themensetzung bedienen: Was bei Anne Will besprochen wird, wird ein Thema bei Twitter und in anderen sozialen Medien oder in der Nachberichterstattung in den Printmedien der nächsten Tage. Über solche Medienkreisläufe kommt es dann auch wieder in den Presseabteilungen der Ministerien, Parlamente oder einzelnen Abgeordnet:innenbüros an. Das Live-Publikum am Fernsehschirm mag schon etwas schrumpfen, doch im politischen System und für die politischen Journalist:innen haben Talkshows immer noch eine Art „Lagerfeuer-Funktion“. In der Branche schaut man hin: Was ist das Thema, wer sitzt da und wer sagt etwas. Ich denke, niedrigere Einschaltquoten sind ein reines TV-Problem, denn Zuschauer:innen finden die Talkrunden noch immer, nur eben auf anderen Kanälen. Die Wirkung zielt auch in Richtung der regelmäßigen Meinungsumfragen, zum Beispiel dem Deutschland-Trend in der ARD oder dem Polit-Barometer im ZDF – gar nicht so sehr mit Blick auf eine Wahlabsicht, sondern eher auf die Bekanntheit von Politiker:innen. Eine gesteigerte Talkshowprominenz kann auch etwas dazu beitragen, wie Politiker:innen in solchen Rankings abschneiden.

Moderatoren, wie beispielsweise Sandra Maischberger mit ihrem Politpodcast, entdecken auch neue, digitale Formate für sich. Denken Sie, dass digitale Formate die Analogen langfristig ersetzten werden und wie bewerten Sie diese Entwicklung im Hinblick auf die Qualität des Inhaltes?

Bierber: Entdecken Moderator:innen wie Sandra Maischberger oder Markus Lanz solche Formate wirklich selbst für sich oder werden diese in ihren Redaktionen entdeckt? Ich glaube, das sind klassische Fälle von „brand extension“ – die Talkshow-Marken werden in den digitalen Raum verlängert. Wenn ich feststelle, dass ich im linearen TV-Zuschauer:innen verliere, was kann ich dem entgegensetzen? Brauche ich einen coolen Twitter-Kanal oder komme ich mit Facebook, TikTok oder mit einem Podcast wieder ins Gespräch? Ob das dann funktioniert, hängt vor allem davon ab, wie gut die Redaktionen sind, die diese Angebote entwickeln und wie authentisch oder innovativ man als „Host“ in einer ungewohnten Umgebung wirkt. Dass man mit Podcasts tolle Sachen machen kann, haben wir in diesem Pandemie-Jahr gelernt – aber doch nicht durch die Talkshow-Prominenz. Der Coronavirus Update-Podcast mit Christian Drosten im NDR ist ein exzellentes gesundheitspolitisches Bildungsformat. Mit einer politischen Talkshow hat es kaum noch etwas gemein. Mehr als 60-minütige Gespräche mit nur einem Gast sind an einem prominenten Sendeplatz undenkbar, bei Podcasts geht das. Tatsächlich gebührt im Fernsehen eine solche Ehre nur der Kanzlerin. Podcasts sind wirklich gute Formate, um Themen vertieft zu diskutieren und wenn man das so gut macht wie beim Coronavirus-Update, entsteht ein Potential für neue Möglichkeiten. Für die substanzielle Diskussion aktueller Fragen hat sich im letzten Jahr viel getan – ich hoffe, dass wir künftig ähnliche Angebote auch für andere Themen sehen werden. Solche Formate erweitern das Spektrum politik-bezogener Medienangebote enorm. Aber: Nur weil ich ein(e) prominente(r) Talkshow-Gastgeber:in bin, heißt das nicht, dass ich auch ein gutes Podcast-Format aus der Tasche ziehen kann.


Das ersten Interview der Reihe mit Claus leggewie.

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