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KI braucht eine Chancen-Debatte und mehr Optimismus

Nabil Alsabah ist Leiter für den Bereich Künstliche Intelligenz beim Branchenverband Bitkom, wo er Wissen über KI sowie digitales Know-how vermittelt. Im Interview spricht der Experte darüber, was Stühle in Form von Avocados mit KI zutun haben, ob diese künftig Pressesprecher ersetzen kann und über verlorene Chancen für Deutschland.

Ein Gastbeitrag von Elen Brauer-Martynov und Gabriel Dötzer

Nabil Alsabah, Bereichsleiter für den AK Künstliche Intelligenz bei Bitkom, vermittelt KI-Wissen und digitales Know-how. Darüber hinaus hält er einen Doktor in Psychologie, erwarb einen Master in Informatik und sammelte langjährige Erfahrung im digitalen China. Foto: Bitkom eV

Herr Alsabah, wie sieht Ihre Tätigkeit als Head of AI bei Bitkom aus?

Alsabah: Bitkom vertritt Unternehmen aus der Digital-Industrie, darunter global agierende Unternehmen wie Google und Apple, aber auch deutsche Start-ups. Der Verband ist in themenspezifische Arbeitskreise strukturiert – unserer ist eben KI. Meine Tätigkeit besteht darin, Aktivitäten und Arbeitskreissitzungen zu koordinieren, die Öffentlichkeitsarbeit zu planen oder Publikationen herauszubringen. Auch die politische Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle. In Deutschland beraten sich die Behörden immer mit den entsprechenden Akteuren und Verbänden, um die Meinungen der Branche einzuholen.

Welche Branchen sehen Sie zukünftig in der KI-Nutzung am stärksten und wo liegen dabei die Potentiale für Marketing und Public Relations?

Alsabah: Das sind die Bereiche, die sich durch repetitive Aufgaben auszeichnen. Sobald es Muster gibt, die sich wiederholen, kann man automatisieren. Wenn der kreative Anteil dabei gering ist, bietet sich KI an.

Kreative Algorithen?

Können sachliche Pressenachrichten, die keine Emotionen vermitteln, als ein solches Beispiel herangezogen werden?

Alsabah: Das sind alles Sachen, die sich vorab definieren lassen. Bei diesem Beispiel handelt es sich um einen Teilbereich, genannt NLG – Natural Language Generation. Dabei wird mit Schablonen gearbeitet, die mit Inhalten gefüllt werden und aus denen letztendlich der Text entsteht. Natürlich können die Schablonen so geschrieben werden, wie man es will – man kann sie durchaus auch emotional gestalten.

Wird es irgendwann möglich sein, auch kreative Aufgaben mit KI zu realisieren – beispielsweise per Zufallsgenerierung?

Alsabah: Tatsächlich ist vor kurzem eine KI erschienen, die aufgrund von Stichwörtern Bilder generiert. Ein Beispiel waren Stühle, die wie Avocados aussehen. Aber auch das beruht auf repetitiven Mustern und ist nicht überdurchschnittlich kreativ. Das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ausschlaggebend ändern. Nehmen wir an, ich bin der Regisseur. Ich habe eine vage Vorstellung davon, wie ein Level meines Spiels aussehen soll, und gehe damit zum Designer oder zu der Designerin. Diese/-r wird nachfragen: „Wie hast du dir das vorgestellt?“ Wir kommen in diesem Gespräch auf neue Ideen, an die ich vorher nicht gedacht habe – so ein Niveau der Zusammenarbeit wird mit KI noch nicht möglich sein. Das liegt einfach daran, dass KI nicht versteht, was sie macht.

Größere Begeisterung für KI in China

Könnte Ihrer Meinung nach eine KI-Lösung als Pressesprecher fungieren?

Alsabah: KI kann mit der automatischen Generierung von Pressemitteilungen sehr viel unterstützen. 2019 gab es bei den Wahlen in Großbritannien ein interessantes Beispiel aus dem Bereich der NLG. Dort existieren über 600 Wahlkreise, da hat auch die BBC nicht genügend Journalisten, um für jeden einzelnen einen Bericht zu schreiben – also hat das eine KI übernommen. Sie gaben ihr die Fakten und die Künstliche Intelligenz hat daraus Texte gebaut. So etwas kann super funktionieren.

Sie sind auch China-Experte – können Sie kurz erklären, wie sich China und Deutschland im Hinblick auf die KI-Nutzung unterscheiden?

Alsabah: Ich denke, das sind vier Punkte. Erstens, die Haltung der Bevölkerung: In China ist es keine Gefahren-Debatte, sondern eine Chancen-Debatte – das hat selbstverständlich sehr großen Einfluss auf die Entwicklung. Zweitens gibt es in China unbeschreiblich viel Konkurrenz und harten Wettbewerb. So viele chinesische Unternehmen liefern sich regelrecht Gladiatorenkämpfe um die Konsumenten und müssen zwangsläufig ihre Dienstleistungen optimieren und kontinuierlich investieren. Drittens hat KI viel mit Daten zu tun – zumindest die Schule des maschinellen Lernens, die aktuell in der Künstlichen Intelligenz in Führung liegt. Dazu werden sehr viele Daten gebraucht. In China gibt es davon einfach mehr. Das liegt nicht nur am Datenschutz, sondern auch daran, dass so viele Sachen digital ablaufen. Autofahrten, Kinobesuche, Arzttermine – anders als in Deutschland wird fast alles digital erledigt. So entstehen viele Daten, die für KI-Anwendungen äußerst relevant sind.

Als letzter Punkt spielt die Regierungspolitik eine große Rolle. Die chinesische Regierung nimmt Technologie generell – und KI als Teil der Digitalisierung – sehr ernst. In Peking gibt die Zentrale strategische Ziele vor, zum Beispiel: KI und Robotik zu priorisieren. Diese Ziele werden dann von den unterschiedlichen Provinzen aufgegriffen. Dabei herrscht zwischen der Zentrale und den Provinzen teils große Spannung. Auch innerhalb der Provinzen sowie zwischen ihnen gibt es viel Wettbewerb. Das führt wiederum dazu, dass sich die Provinzen bemühen, die besten Köpfe zu bekommen und die größten Erfolge zu erzielen.

Fehlende Kultur des Ausprobierens

Wie würden Sie insgesamt die Lage in Deutschland beschreiben?

Alsabah: Der Datenschutz spielt hierzulande eine erhebliche Rolle, auch in den Unternehmen selbst. Die Angst ist zu groß, da etwas falsch zu machen. Das führt dazu, dass viele Vorhaben gar nicht erst in Angriff genommen werden. Wir konnten in einer Studie feststellen, dass nur sechs Prozent der Unternehmen in KI investieren, obwohl sie über siebzig Prozent als wichtigste Technologie der Zukunft sehen. Das hat meines Erachtens damit zu tun, dass hier keine Unternehmenskultur des Ausprobierens existiert, sondern eher konservativ gedacht wird.

Sind in Deutschland genügend Angebote für KI-Lösungen vorhanden?

Alsabah: Das Ding ist: Bei KI handelt es sich nicht um ein Produkt, dass man auf Amazon bestellen kann. Es stellen sich Fragen wie: „Wo kann ich dieses Werkzeug in meinem Unternehmen einsetzen? Was brauchen wir?“ Damit muss man sich auseinandersetzen. Das wiederum ist ein kreativer Denkprozess. In den meisten Fällen braucht jedes Unternehmen eine individuelle Lösung und eine Person, die das in die Hand nimmt und bei Bedarf einen externen Dienstleister hinzuzieht. Tatsächlich glaube ich nicht, dass es sich um einen Mangel an Angeboten handelt – eher um einen Mangel an Anwendungsfällen. Irgendjemand hat mal gesagt, Strategie sei die Kunst, Fragen zu stellen – in diesem Prozess des Fragenstellens entwickelt man eine KI-Strategie für das Unternehmen.

Angst vor Jobverlusten als größte Hürde

In unserer KI-Marktstudie haben wir nach der größten Hürde beim Einsatz von KI-Lösungen gefragt. Viele Anbieter gaben an, dies sei die Angst der Angestellten vor Jobverlust. Allerdings deckt sich das nicht mit den Einschätzungen der Experten – wieso?

Alsabah: Diejenigen, die in der Entwicklung tätig sind, sehen, wieviel noch passieren muss, bis ein Mensch durch Algorithmen ersetzt werden kann. Sie erkennen die Schwächen und Defizite der Algorithmen. Ich kenne aber auch einige Studien, die eher das Gegenteil behaupten – künstliche Intelligenz würde dazu führen, dass viele Menschen ihren Job verlieren. Ich bin da eher skeptisch.

Die Pressesprecher müssen sich also keine Sorgen machen?

Alsabah: Nicht wirklich, nein. Wenn ich an unseren Pressesprecher denke, ist das nicht so, dass er vorgefertigte Schablonen hat und sie nur mit Zahlen füttert. Es ist nach wie vor ein kreativer Prozess. Die Algorithmen können ihn aber unterstützen – es könnte also sein, dass nicht mehr so viele Pressesprecher im Unternehmen benötigt werden.

Ein KI Programmieren: Keine Raketenwissenschaft

Was braucht es, um KI-Software zu programmieren?

Alsabah: Das ist nicht schwer, da man in den allermeisten Fällen keine neuronalen Netze oder anderweitige Algorithmen des maschinellen Lernens selbst programmieren muss. Es gibt sogenannte Frameworks – quasi fertig entwickelte Methoden, die man nur in die eigene Software einbaut. Aber auch ein neuronales Netz selbst zu programmieren ist, aus meiner Sicht, überhaupt nicht schwer. Das ist keine Raketenwissenschaft – ich finde KI nicht so kompliziert wie andere Bereiche der Informatik.

Als Doktor der Psychologe können Sie bestimmt sagen, welche Rolle die Psychologie bei der Akzeptanz von KI spielt?

Alsabah: Eine große Rolle. Ich glaube, um die KI gibt es eine imaginäre Welt, in der sich die meisten Beobachter – sogenannte Experten – befinden. Das ist eine Science-Fiction-Welt, eine Parallelwelt, in der die wichtigste Nachrichtenquelle Hollywood-Filme sind. Viele, die über künstliche Intelligenz schreiben, leben in dieser imaginären Welt. Auf der anderen Seite stehen, zum Beispiel, die Ingenieure, die in der richtigen Welt leben und wissen, wie groß die Kluft zwischen den Fähigkeiten ist, die man der KI zuschreibt, und denen, die sie wirklich hat. Wie man diese Kluft verkleinert – das ist eine psychologische Frage, mit der man sich auseinandersetzen muss.

So viele Bereiche wie möglich digitalisieren”

Was würden Sie sich persönlich für die Entwicklung der KI in Deutschland wünschen?

Alsabah: Ich wünsche mir, dass wir insgesamt optimistischer und offener gegenüber der Digitalisierung werden. Und dass wir so viele Bereiche wie möglich digitalisieren – weil das letzten Endes Produktivitätsgewinne, mehr Komfort für den Bürger und mehr Sicherheit bedeutet. Es sichert auch unseren Wohlstand. Alle Bereiche werden gerade von der Digitalisierung beeinflusst, insbesondere unsere Stärken – die Automobilbranche, die Industrie – sind sehr stark betroffen. Wenn wir uns nicht darauf einlassen, die vielen Potentiale nicht ausschöpfen, werden wir, meines Erachtens, abgehängt.

Aber das ist nicht das, was wir machen – weder in Deutschland noch in Europa. Wir beschränken uns in erster Linie auf eingebildete Gefahren und führen meiner Meinung nach völlig absurde Ethik-Debatten, anstatt zu erklären, wie diese Dinge funktionieren oder welche Potenziale sie haben. Ich verstehe auch nicht, warum die Leute, die sich mit dem Thema befassen und sich Tag und Nacht dazu äußern, sich nicht die Mühe machen, zu verstehen, wie Algorithmen wirklich funktionieren. Dann könnten sie die Dinge richtig einschätzen und die Politik und die Gesellschaft positiv beeinflussen – denn aktuell gibt es leider viel negativen Einfluss.

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