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Konstruktiver Journalismus: im Interview mit dem Journalismustrainer Michael Gleich

Ein Gastbeitrag von Jonas Klaus

Bild: Michael Gleich


Michael Gleich ist Journalist, moderiert Tagungen, publiziert und gilt als ein Protagonist des konstruktiven Journalismus in Deutschland. Nach seinem Studium der Publizistik, Soziologie und Geschichte arbeitete er bei mehreren Verlagen als Redakteur und Reporter. Später gründete er Netzwerke für Recherchen und Veranstaltungen. In seinem Projekt Peace Counts dokumentierten Journalisten und Fotografen die Arbeit von Konfliktlösern in über 40 Ländern. Neben dem Schreiben ist er auch als Moderator tätig, hält Vorträge oder lehrt. Mit seiner Arbeit möchte Gleich Menschen dazu auffordern, ihre Potenziale zu entfalten und ihre Lebendigkeit fördern.

Herr Gleich, wie bewerten Sie die Lage der Medien in Deutschland? Kommt der Journalismus noch seinen gesellschaftlichen Aufgaben nach?

Durch meine zahlreichen Auslandsaufenthalte, teilweise auch in Diktaturen, konnte ich einen guten, internationalen Blick erhalten. Im Vergleich sind wir in Deutschland immer noch bestens versorgt, was Presse und Medien betrifft. Bei aller berechtigten Kritik, die übrigens auch Teil des Systems ist, haben wir noch immer eine der besten Positionen im Vergleich. Gleichzeitig lässt sich dennoch eine Erosion im Qualitätsjournalismus beobachten. Das liegt einerseits daran, dass mit dem Zurückgehen der klassischen Anzeigen für den Printjournalismus eine wichtige Einnahmequelle versiegt und zweitens an dem Kauf- und Abonnierverhalten der jüngeren Generation, die sich nicht mehr an Abonnements binden will. Aufwändige Recherchen, wie sie der konstruktive Journalismus voraussetzt, sind dadurch immer weniger bezahlbar. Das ist ein großes Problem. Auch nimmt die Anfeindung bis hin zur Bedrohung von Journalisten und Journalistinnen immer stärker zu. Grundsätzlich aber werden die Erwartungen an den Journalismus, wie beispielsweise die Aufklärungs-, Bildungs- oder Kontrollfunktion, weiterhin erfüllt.

Für Konstruktiven bzw. Solution Journalismus gibt es noch keine eindeutige Definition und unterschiedliche Sichtweisen. Wie definieren Sie diesen?

Für mich ist kritisch-konstruktiver Journalismus eine Spielart des Journalismus, die, ausgehend von gesellschaftlichen Problemen, das Erkenntnisinteresse auf mögliche Lösungen richtet. Wichtig ist dabei eine unabhängige und kritische Berichterstattung. Im Gegensatz zu den Positive News liegt der Fokus aber nicht auf individuellen, sondern auf gesellschaftlichen Problemen wie Klimawandel, Armut oder Migration. Es werden Lösungsansätze gesucht und kritisch beleuchtet, ich brauche also Belege dafür, wie diese Lösungen wirken. Analog zu der Medizin müssen hier auch die Risiken und Nebenwirkungen genannt werden. Was kritisch-konstruktiver Journalismus aber nicht sein sollte: PR für „gute“ Projekte. Und auch Aktivismus, also eine politische Agenda, ist hier fehl am Platz.

In Deutschland befindet sich konstruktiver Journalismus noch am Anfang. Warum sind hier andere Länder wie die USA oder Dänemark schon weiter?

Der sogenannte Solution Journalism in den USA wurde von führenden Journalisten und Journalistinnen wie Tina Rosenberg von den New York Times propagiert, das hat zur weiten Verbreitung beigetragen. Hierzulande ist man deutlich misstrauischer. Als ich, vermutlich als einer der Ersten, den Begriff 2008 verwendet habe, fragten mich Journalisten verärgert, ob sie denn dann „destruktiven“ Journalismus betreiben würden. Insgeheim stimmt dies auch, denn Forscher konnten nachweisen, dass viele Redaktionen durch negative Berichterstattung zu Medienverdrossenheit bei vielen Nutzern und Nutzerinnen beitragen. Immer wieder gab es dann den Verdacht, dass konstruktiver Journalismus so etwas wie die „rosarote Brille“ darstellen könnte. Niemand, der konstruktiven Journalismus betreibt, möchte aber etwas weichspülen, sondern hochqualitativen Journalismus betreiben, und zwar mit den gleichen berufsethischen Standards wie sonst auch. Ein weiterer Punkt sind die Ressourcen: Hochwertiger, kritischer Journalismus kostet Zeit und Geld. In den USA wird konstruktiver Journalismus deshalb unter anderem von Stiftungen finanziert, das ist in Deutschland aktuell allerdings noch verpönt, da man die Unabhängigkeit gefährdet sieht. Wir bräuchten eigentlich einen Fonds, aus dem aufwändige Recherchen finanziert werden. Dieser müsste unabhängig verwaltet werden, am besten durch die Medienhäuser selbst.

Was halten Sie von den ersten Ansätzen, wie sie deutsche Redaktion wie Zeit online oder der NDR einführen?

Da gibt es mittlerweile viele Medien, die entsprechende Formate eingeführt haben. Beispielsweise hat Focus online als eine der reichweitenstarken Onlinemagazine mit Perspektiven ein entsprechendes Format im Angebot, aber auch viele regionale Tageszeitungen wie die Sächsische Zeitung versuchen sich daran. Die Qualität variiert natürlich, wie überall im Journalismus. Für eine genaue Beurteilung müssten wir uns die Berichte pro Medium allerdings genauer ansehen.

Was raten Sie Medienhäusern, um den konstruktiven Journalismus in der eigenen Arbeit zu stärken?

Es braucht zwei Ebenen: Zunächst müssen Redakteure und Redakteurinnen geschult werden, aber nicht im Handwerk, sondern es sollte darum gehen, den Blick auf den Lösungsaspekt zu schärfen. Zweitens sollten Redaktionen Strukturen und Verantwortlichkeiten festlegen, also wer sich um die Umsetzung dieses Aspekts kümmert und einen festen Platz im Medium für diese Formate etabliert. Nur so kann eine Kontinuität gewährleistet werden. Konstruktiver Journalismus setzt deutlich umfangreichere Recherche voraus. Deshalb sollten Redaktionen festlegen, in welchen Bereichen oberflächliche und schnelle Berichterstattung und wo „Tiefenbohrungen“ Sinn machen. Dort könnten sie dann auch ihr Budget konzentrieren. Vielleicht sollten Redaktionen als dritten Aspekt nach einer gewissen Zeit ihre Arbeit von außen beleuchten lassen: Wie ist der Status quo? Haben wir unsere Ziele erfüllt? Ich konnte auch feststellen, wie sehr agiles Arbeiten bei Innovationsprojekten hilft, hier könnte man ebenfalls ansetzen.

Umfangreiche Recherchen sind bei News-Meldungen kaum möglich. Kann man hier konstruktiven Journalismus überhaupt umsetzen?

Breaking News sind kurze Meldungen und ereignisorientiert. Das ist keine Hintergrundberichterstattung. Jeden Versuch, positive Nachrichten als Alternative zu beispielsweise der Tagesschau zu machen, halte ich für falsch

Sie sind Journalismustrainer. Worauf legen Sie bei der Vermittlung der KJ-Grundlagen besonders wert? Nehmen Journalisten ihre gesellschaftliche Verantwortung bewusst war?

In meiner Lehre an der Hochschule Ansbach sehe ich viel Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung bei den werdenden Journalisten. Als Journalismustrainer werde ich natürlich in erster Linie von Redaktionen ins Haus geholt, bei denen schon eine Bereitschaft vorhanden ist, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Es geht darum, den Blick zu schärfen, sich selbst zu hinterfragen: Denn alles liegt im Auge des Betrachters, an den Filtern, mit denen er die Welt wahrnimmt. Journalisten und Journalistinnen können dann mit verschiedenen Recherche- oder Drehansätzen versuchen, auch die Lösungsseite zu berichten, das müssen sie dann üben.

Auf dem YouTube-Kanal der Welt setzt sich der Redakteur Constantin van Lijnden unter anderem mit dem Journalismus auseinander und kritisiert dort linken Aktivismus. Könnte sich dies unter dem konstruktiven Journalismus bessern oder verstärkt dieser eher eine eventuelle Tendenz?

Sicher lockt auch Journalismus sogenannte „Weltverbesserer“ an. Ich weiß jedenfalls, dass jungen Menschen eine höhere Sinnorientierung unterstellt wird, ganz gleich, ob sie bei einer Bank oder einem Autobauer arbeiten. Sinn kann dabei alles Mögliche bedeuten, einerseits also die Motivation, die klassischen Funktionen des Journalismus zu wahren, andererseits natürlich auch, gewisse gesellschaftliche Kräfte zu stärken. Der eher rechts-konservativen Welt könnten Sie hier sicherlich auch Aktivismus unterstellen. Jedenfalls kam die Behauptung, Journalisten würden nach links driften, schon in den 70er Jahren auf und ist somit nicht neu.

Mehrere Journalisten, darunter auch Ellen Heinrichs von der Deutschen Welle, raten Redaktionen sich besser zu vernetzen und Organisationsstrukturen zu überdenken. Mit “Der Kongress tanzt” haben Sie selbst eine Veranstaltungsplattform für Begegnungen und Lernen gegründet. Wie lässt sich dies umsetzen?

Derzeit bereite ich die Reportage „Der Wandel ist weiblich“ in Ruanda vor. Das ist eine Zusammenarbeit der Frankfurter Rundschau und dem NDR. Im investigativen Journalismus sind solche Kooperationen schon länger üblich. Ich halte sehr viel von solchen Verbünden. Klar, Netzwerke müssen aufgrund ihrer Komplexität auch gut verwaltet werden, aber insgesamt befürworte ich sie als wichtiges Standbein des konstruktiven Journalismus. Selbstverständlich sollten sich Partner zusammenfinden, die sich gegenseitig keine Konkurrenz machen, sondern ergänzen. Auch die Ressourcen könnten sie in einem gemeinsamen Pool bündeln, doch das scheitert häufig an Problemen wie Entscheidungsstrukturen oder Hierarchien. Langfristig werden Allianzen aber zunehmen, da bin ich mir sicher.

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