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Pionierjournalismus: Vertrauen durch Transparenz

Twitternde Präsidenten, Fake News und Polemik im Internet. Daten und Fakten verschwinden hinter abstrusen Behauptungen. Die Gatekeeperfunktion des traditionellen Journalismus verschwimmt. Das Publikum produziert Nachrichten teils selbst. So entsteht eine Verzerrung der Berichterstattung in der Medienlandschaft. Pionierjournalismus kann hier neue Ideen und Ansätze liefern.

Was muss Journalismus leisten, um künftig eine zuverlässige Quelle zu sein?

Dirk Walbrühl ist Autor bei Perspective Daily. Einer konstruktiven Onlineplattform, die in ihren Artikeln über die reine Information hinaus Lösungsansätze bieten will. „Konstruktiver Journalismus basiert auf Überlegungen, die aus der positiven Psychologie stammen“, erklärt Walbrühl. Die Medien sind voll mit negativen Nachrichten: Skandale, Katastrophen und Krisen dominieren die Berichterstattung. Auf singulären Gewaltereignissen wird tagelang herumgeritten. Ein “Negative News Bias” erzeuge bei Rezipient*innen eine Art erlernte Hilflosigkeit. Der Mensch lernt dadurch, Nachrichten passiv zu konsumieren und sich nicht als Teil dieser Nachrichtenwelt zu begreifen.

„Konstruktiver Journalismus fragt nach, was diese konstante Beschallung mit ‘negative news’ eigentlich mit den Menschen macht. So will er Leser*innen ermöglichen, sich mit ihren Emotionen und der Information in Beziehung zu setzen und ein Bewusstsein für Lösungsansätze zu schaffen”, sagt der Journalist. Zum Beispiel über die Vermittlung von „best practice“ Beispielen aus dem Ausland. Trotzdem ist Walbrühl der Meinung, dass das nicht ausreicht, um Journalismus zukunftsfähig zu machen. 

Pionierjournalismus statt Experimentierwahn

„Es gibt viele Spielarten von Pionierarbeit im Journalismus“, sagt Walbrühl. Pionierjournalismus definiert er als das, was versucht, über die klassischen Gewohnheiten des Journalismus hinauszugehen, um den Journalismus als Ganzes zu verbessern. Ohne sich völlig abkoppeln zu wollen vom grundlegenden journalistischen Handwerk. Im Sinne einer Modernisierung von Journalismus. Die müsse nicht zwingend nur im Digitalen stattfinden. Auch eine visuelle Umsetzung der Berichterstattung könne zukunftsfähig sein. Der konstruktive Journalismus mit seinem speziellen Ansatz könne allerdings höchstens einen kleinen Teil pionierjournalistischer Arbeit einnehmen. 

Differenzierte Nachrichtenlage

Walbrühl sieht die Zukunft vielmehr in einem vertrauensbildenden Journalismus, der in Transparenz und Offenheit Leser*innen näher an sich heranlässt. Dafür müsse sich zukunftsorientierte Kommunikation zuerst an ein verändertes Leseverhalten des Publikums anpassen. Die Nachrichtenlage sei viel diffuser geworden und nicht auf ein Portal mit Gatekeeperfunktion angewiesen. Durch YouTube, Instagram oder andere News- und Social Media-Feeds oder Gruppen sind Rezipient*innen differenziert aufgestellt. Sie können hier zudem selbst zu Produzierenden von News werden.

Dezentralisierung journalistischer Angebote

„Alle großen Verlagshäuser kämpfen mit sinkenden Zahlen“, sagt Walbrühl. Er sieht das aber vor allem als Chance: Verlage würden so gezwungen, mehr zu experimentieren. Vielleicht stellen Verlage künftig Leute mit einem unkonventionelleren Werdegang ein, statt auf ein absolviertes Volontariat zu bestehen. Oder sie trauen sich in neue Formate zu investieren. Letztendlich könne das zu einer Ausdehnung der journalistischen Landschaft führen. Hin zu einem dezentralisierten Journalismus mit dezentral ausgebildeten Journalist*innen. Das kann wegbereitend sein, für einen Journalismus, der breiter aufgestellt ist als bisher: mit neuen Formaten, Finanzierungsmöglichkeiten und neuen Medienschaffenden. 

Wissenschaft interessiert sich nicht für Perspektiven oder Reframings

Diese Entwicklung ruft zum Beispiel Experten wie den Virologen Christian Drosten auf den Plan. Ein Wissenschaftler, der uns seit Beginn der Corona-Pandemie mit dem Podcast „Das Coronavirus-Update“ von NDR Info begleitet und eine Schnittstelle zwischen den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Gesellschaft bildet. In einer für alle schwierigen Zeit habe der Mediziner Drosten im digitalen Bereich eine gute Informationspolitik gefahren und vielen dadurch Sicherheit gegeben. „Nach solchen Figuren sehnen sich die Leute“, sagt Walbrühl. „Mit dem Ende der Trump-Periode geht langsam die Faszination mit alternativen Fakten, Narrativen und beliebigen Realitätskonstruktionen zu Ende. Die Suche nach authentischen Informationen kehrt zurück.“ Fakten kann es nicht alternativ geben. Die Wissenschaft interessiert sich nicht für Perspektiven oder Reframings. Und das Virus interessiert sich nicht für Meinungen. 

Zukunftsorientierte Wissenschafts- und Technikkommunikation

Die Herausforderung von zukunftsgerichteter Wissenschafts- oder Technikkommunikation liegt darin, komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln. Zusätzlich zu dieser Kernarbeit müsse zukunftsorientierte Informationsvermittlung Leser*innen auch mit einer Portion Empathie für deren unterschiedliche Startpunkte abholen. Das heißt für eine Pandemie-Situation, dass manchmal auch Basics mit in die Berichterstattung einfließen sollten. Denn nicht jede*r weiß, wie ein Virus überlebt oder was bei einer Impfung im Körper abläuft. „Durch mehr Basiswissen-Vermittlung kann Journalismus Menschen dazu bringen, den aktuellen Diskurs zu durchdringen und besser zu verstehen“, sagt Walbrühl. 

Vertrauen durch Transparenz

Und allem voran seien Leser*innen gewillt, wieder Vertrauen zu investieren. Transparenz könne ein solches Vertrauen schaffen. Statt eines generalisierenden Journalismus, brauche es Journalist*innen die bereit sind, sich in bestimmten Themengebieten Expertise anzueignen. Walbrühl selbst ist Autor für digitale Technologien und Entwicklungen. Er bezeichnet sich als Netzjournalist. „Ich kann nicht übers Internet Schreiben und keine Ahnung haben, wie 5G funktioniert. Ich muss Algorithmen verstehen. Als Technikjournalist braucht man zwingend rudimentäres mathematisches und physikalisches Wissen!“, sagt er. Die Welt sei zu komplex für Universalgelehrte.

Transparenter Wertekanon: Mission Statements und Werte kommunizieren

Außerdem müsse der oder die einzelne Journalist*in selbst transparenter sein. Sie seien herausgefordert, ihre persönlichen (Arbeits-)Werte offen einfließen zu lassen und Mission Statements klarer zu formulieren. Das heißt, dass Journalist*innen wieder hinter ihren Texten hervortreten sollten. Nicht, um sich in den Mittelpunkt zu drängen, aber sie sollten auch nicht unsichtbar sein. Leser*innen könnten dann selbst entscheiden, wie viel Vertrauen sie investieren wollen.

„Der Einzeltext selbst wird im Leseverhalten sehr viel stärker angesteuert. Das heißt Journalist*innen müssen im Einzeltext selbst stärker präsent sein.“, überlegt Walbrühl. Das könne passieren, indem man Traditionen wie das im Journalismus so verpönte „Ich-Wort“ über Bord wirft. Christian Drosten hat durch seine Informationskultur eine sehr starke Vertrauensbildung erreicht. Der Virologe kommuniziert klar, in welchem Bereich er Experte ist und legt dabei seine persönliche Perspektive offen. Er spricht an, wenn er Fehler gemacht hat und trennt dabei sehr transparent Wissen von Nicht-Wissen. „Das geht ein bisschen in Richtung Influencertum: Influencer*innen behalten ihr Leben abseits des Internets für sich. Aber sie machen sich in dem Sinne transparent, indem sie viel von dem zeigen wofür sie stehen. Sie geben Einblicke in private Arbeit oder bauen über die Kommunikation gemeinsamer Interessen Nähe zu ihren Follower*innen auf“, sagt Walbrühl. Das schafft Transparenz und Nähe und sorgt so letztlich für Vertrauen. 

Wie kann Pionierjournalismus die Medienlandschaft aufwerten?

„Es gibt viele junge Journalist*innen, die darauf warten, ihre Ideen umzusetzen, die hungrig sind, etwas zu verändern und die sich richtigen Fragen nach einer neuen Rolle von Journalismus stellen“, sagt Walbrühl. Denen stünden aber viele ältere Journalist*innen gegenüber, die gerne beibehalten wollen, was über Jahre funktioniert hat. Es gebe Ausnahmen wie das konstruktive Format “Journalisten Werkstatt“. Cordt Schnibben will mit dieser Plattform das journalistische Handwerk aus den Händen ausgebildeter Journalist*innen in die Hände von Bürger*innen geben. Dieser Ansatz ist für Walbrühl klar pionierjournalistisch gedacht.

„Pionierjournalist*innen geben sich nicht mit bisherigen Antworten zufrieden. Sie suchen Lösungen und versuchen die zu applizieren.“ Sie streben weg vom „Berichten, was ist“ und versuchen, Journalismus anders aufzustellen, um relevant zu bleiben, in einer Zeit, in der Journalismus dezentralisiert konsumiert wird. Denn die Zukunft des Journalismus formiert sich nicht durch Stillstand, sondern durch vereinzelte kleine oder große Ideen von Menschen, die ein wenig an der Spielweise des Berufsfeldes herumschrauben.

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