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Das Außerachtlassen von Geschlechterunterschieden ist „unverzeihlich“: Ulla Ellmer im Interview über Crashtests und Sicherheit

 

Ein Gastbeitrag von Abdülbaki Sürüm

Ulla Ellmer ist eine erfahrene Redakteurin beim Sportmagazin Kicker. Sie hat 30 Jahre Erfahrung im Ressort Auto und Mobilität, das in der Online-Ausgabe des Magazins erscheint. Ellmer hat selbst für die Regionalzeitung Nürnberger Nachrichten über die Vorstellung von „Eva“, dem ersten weiblichen Crashtest-Dummy, berichtet und die fehlende Chancengleichheit beim Autounfall beklagt. Sie meint, dass die fehlende Diversität in der Sicherheitstechnik und das Außerachtlassen der körperlichen Unterschieden „unverzeihlich“ ist. Vielleicht ist das auch dem geringen Anteil von Frauen in den Technikressorts der Medien geschuldet. Hier habe sich im Gegensatz zu den Pressestellen von Unternehmen bis heute wenig verändert.  

Wie sind Sie auf das Thema Crashtest-Dummy „Eva“ gestoßen? 

Ulla Ellmer: Ich informiere mich und halte mich auch auf dem Laufenden, was so in der Branche los ist. Da bin ich über eine Onlinegeschichte darauf gestoßen und wollte das auch aufgreifen und darüber berichten. 

Artikel über den ersten weiblichen Crashtest-Dummy "Eva" von Ulla Ellmer

Waren Sie generell für den Aspekt Gender-Ungleichheit sensibilisiert? Oder war es ein normales redaktionelles Neuigkeiten-Thema? 

Da war ich eigentlich nicht sensibilisiert. Es ist auf jeden Fall interessant. Ich habe früher eine Geschichte über einen ganz normalen Crashtest geschrieben und wusste auch, dass tatsächlich ein Defizit besteht, was die weibliche Anatomie betrifft und dass es auch eine Sicherheitsproblematik darstellt. 

Haben Sie das Thema in der Redaktionskonferenz besprochen und wenn ja, wie waren die Reaktionen darauf? 

Nein, das Thema habe ich nicht besprochen. Da muss ich aber auch dazu sagen, dass ich in meinem Arbeitsbereich Auto und Mobilität, autark und autonom arbeite. 

Gab es Reaktionen nach dem Erscheinen des Artikels? 

Ehrlich gesagt, nein. 

Was halten sie davon, dass jahrzehntelang die Diversität bei Crashs außen vor gelassen wurde? 

Aus Sicherheitsgründen eigentlich unverzeihlich. Es ist nachzulesen auch in meinem Bericht, dass die weibliche Anatomie, da bisher überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Das kann im schlimmsten Fall natürlich das Leben kosten, wenn nicht zumindest schwere Verletzungen hervorrufen. Darum war es höchste Zeit, dass mal etwas passiert. 

In unserer Analyse kam auch zum Vorschein, dass das Team um die Forscherin Linder spätestens seit 2011 intensiv zu diesem Thema geforscht und wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht hat – nur diese langjährige Arbeit kam in keiner Berichterstattung vor – haben Sie hierfür eine Erklärung? 

Das kann ich jetzt eigentlich nicht bestätigen, dass es keine Berichterstattung gab. Immer, wenn von Crashtests die Rede war, wurde eigentlich auch auf die Problematik, dass dieser Standard eben nur auf Basis der männlichen Anatomie beruht und nicht auch auf der weiblichen, hingewiesen. Dass das Thema speziell, mit der „Eva“ aufgegriffen wurde oder an Aktualität gewonnen hat, liegt natürlich daran, dass jetzt ein weiblicher Dummy existiert und über den man berichten konnte. Und meines Wissens nach hat auch der ADAC immer wieder gefordert, dass es weibliche Crashtest-Dummys geben muss. 

Haben sie weitere Artikel zu diesem Thema gelesen? Was halten sie von der Berichterstattung? 

Ja, habe ich. Das wurde auch ziemlich ausführlich in den Medien behandelt. Auch von den Fachmedien, was ich auch gut finde. Noch besser wäre es, wenn „Eva“ auch irgendwann in Serie geht. Aber das ist wahrscheinlich auch eine Kostenfrage. Auf der anderen Seite, wenn es um Leben oder Tod geht, mal zugespitzt formuliert, sollte dies eigentlich kein Argument sein. 

Wir haben festgestellt, dass es zwar einige Berichte dazu gab, aber wenige Kommentare? Wieso denken Sie ist es so? 

Dazu habe ich jetzt eigentlich auch keine Erklärung. Aber dass es mit Berührungsängsten zu tun hat, halte ich für völlig ausgeschlossen. 

Technikjournalismus hat ja eine zentrale Funktion, auf Themen aufmerksam zu machen, auf Fehlentwicklungen oder Leerstellen hinzuweisen. Welche Erfahrung haben sie selbst bislang bezüglich des Gender-Gaps in der Technikkommunikation gemacht? 

Wenn wir jetzt von der personellen Besetzung im Bereich Motorjournalismus sprechen: da ist es immer noch so, dass es sehr sehr wenige Frauen gibt. Wir versuchen dies mit Girls Days zu beseitigen. Ich mache es jetzt wirklich lange, seit 30 Jahren, und erstaunlicherweise hat sich in diesen 30 Jahren auch nicht viel geändert. 

Wo sich viel geändert hat, ist auf der anderen Seite des Schreibtisches, sprich in den Pressestellen, mit denen ich auch viele zusammenarbeite. Da gibt es jetzt welche, zum Beispiel bei der Automarke Seat, die überwiegend weiblich besetzt sind.

Sollte man in der Technikberichterstattung oder auch in der Politikberichterstattung mehr auf solche Themen und ein existierendes Gender-Gap aufmerksam machen, z.B. auf feministische Stadtplanung, gendergerechte Medizin oder gendersensible Mobilitätsplanung? 

Auf jeden Fall. Für mein Umfeld kann ich sagen, dass 79 Prozent der Frauen einen Führerschein haben. Beim Autokauf haben sie einen Anteil von knapp 35 Prozent. Wenn man diese Zahlen im Hintergrund behält, dann kann ich jetzt speziell für meinen Fachbereich sagen, dass das Thema Frauen unbedingt stärker kommuniziert werden und auch die Bedürfnisse von Frauen stärker berücksichtigt werden sollten. 

In Erhebungen aus einem vorherigen Seminar wurde deutlich, dass Gendersensibilität in Technikentwicklung, Technikanwendung und die entsprechende Beurteilung von Technikfolgen weder in der technischen Ausbildung von Redakteurinnen und Redakteuren noch im Volontariat oder der journalistischen Ausbildung angesprochen wurde. War das in Ihrem Werdegang ebenso? 

Als ich eingestiegen bin, vor 40 Jahren, war das noch eine andere Zeit. Da wurde man noch mit Fräulein angesprochen. Ich habe bei uns in der Redaktion von männlicher Seite nie irgendeine Herablassung oder Ähnliches wahrgenommen, obwohl ich damals wirklich die einzige Redakteurin war. Es war jedoch so: Wenn ein neues Auto vorgestellt wurde, gab es immer eine Fahrpräsentation und da war es dann teilweise schon so, dass ich von Kollegen angesprochen worden bin, ob ich mich nicht mal so auf die Motorhaube setzen könnte, quasi als Deko, was man heute grundsätzlich verbietet. Aber so was war damals schon gang und gäbe, dass man da auch ein bisschen zu herablassend als Mädchen betrachtet wurde, aber innerhalb meiner Redaktion hatte ich nie das Gefühl, dass man mich in irgendeiner Weise abwertend behandelt. 

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