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Gewinner ohne Publikum: Im Interview mit Prof. Dr. Lilienthal

Dr. Lilienthal Volker ist seit Juli 2009 Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg. Dazu ist Prof. Dr. Lilienthal Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für “Praxis des Qualitätsjournalismus”. Als Jury Mitglied des Otto-Brenner Preises äußert er sich kritisch gegenüber der journalistischen Preisverleihungsszene.

Ein Gastbeitrag von Franz Gläser

Werden Journalistenpreise als Qualitätssiegel im Wissenschaftsjournalismus gesehen?

Prof. Dr. Lilienthal: Erstens ist es so, dass es in Deutschland viele Journalistenpreise gibt. 379 um genau zu sein. Diese mehreren hundert Preise können nicht gleichbedeutend sein. Beim Stichwort PR gibt es Preise, die von einer Zahnärztekammer aufgesetzt werden. Diese Kammer wünscht sich dann Artikel über Dentalmedizin und genau das wird dann von Ihnen gefördert. Preise, die ein spitzes partikulares Interesse bedienen, können in der journalistischen Profession kein großes Ansehen erfahren. Sie sind erstens viel zu speziell und signalisieren die allgemeine Öffentlichkeit von Journalismus nicht. Zweitens merkt man, als Leser direkt, dass PR-motivierte Hintergründe existieren. Ein deutlich höheres Renommee haben die Preise, welche eine professionelle Jury besitzen, die streng auswählt. Mehr Renommee haben auch die Preise, die ein gesellschaftliches Mandat signalisieren. Ein Beispiel dafür wäre der Otto-Brenner Preis für kritischen Journalismus, bei dem ich als Jurymitglied tätig bin. Drittens ist es in unserer Gesellschaft so, dass die Wahrnehmung über das Geld geregelt ist. Wenn es also eine große Preissumme bis in die 10.000 Euro, oder höher gibt, dann sieht die Öffentlichkeit das und die Journalisten ebenso. Diese Preissumme alleine generiert Aufmerksamkeit.

So ist es auch beim Otto-Brenner Preis, welcher 47.000 € darbietet und damit zur Spitzenklasse der Preisgelder gehört. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich dabei um die gesamte Preissumme handelt, die unter Preisträgern verteilt wird. Kein Individuum gewinnt im ersten Platz alle 47.000 € komplett. Der Henri-Nannen-Preis, der Theodor-Wolff-Preis und der Otto-Brenner-Preis gehören zur Spitzengruppe, welche sich durch ein Jahre lang bestehendes Renommee erarbeitet sowie hält. So etwas spricht sich im journalistischen Feld herum, da jeder beobachten kann was zuletzt ausgezeichnet wurde.

Was unterscheidet den Otto-Brenner-Preis qualitativ und welche Qualitätssiegel impliziert er im kritischen Journalismus?

Prof. Dr. Lilienthal: Kritischen Journalismus gibt es bei den anderen Preisen der Spitzenklasse ebenso, deshalb ist er kein direktes Alleinstellungsmerkmal. Was der Preisstifter*in der Otto-Brenner-Stiftung, welche die Wissenschaftsstiftung der IG-Metall ist, signalisieren möchte, ist: „Wir zeichnen journalistische Leistungen aus, die das Geschehen speziell in Deutschland, aber auch in der Welt aus einer kritischen Sichtweise betrachten. Die Otto-Brenner-Stiftung hat sich Idealen wie Demokratie, gewerkschaftliche Interessenvertretung und Chancengleichheit verschrieben. Die Jury ist davon komplett unabhängig, aber natürlich darf ein Stifter erst mal ein Mission Statement zu ihrem Wettbewerb abgeben. Dann kann ein angefragter Juror sich überlegen, ob er Teil dessen sein will oder nicht. Klar bleibt in jedem Fall, dass eine Jury immer unabhängig arbeiten muss, und zwar auch unabhängig von der Preisstifterin. Die Brenner-Stiftung macht der Jury keine Vorschriften.“

Volker Lilienthal, Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg und Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur.
Volker Lilienthal, Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg und Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur. Bild: Universität Hamburg.

Sie haben in einem Ihrer ehemaligen Artikel Mario Kaiser erwähnt, der über 20 diverse Journalistenpreise gewann, mit einem summierten Preisgeld von ca. 60.000 €. Vermittelt das Ihrer Meinung nach ein gutes Bild von Journalistenpreisen? Geht das nicht am ursprünglichen Ziel der Preise vorbei?

Prof. Dr. Lilienthal: So ein Fall ist kritisch, aber vom Extrembeispiel Kaiser abgesehen gibt es ein weiteres Problem. Bei allen Wettbewerbern fallen immer Journalisten*innen von Elitemedien wie Zeit, Spiegel oder der öffentlich-rechtlichen Rundfunk als erste auf. Natürlich bringen die verlässlich eine hohe journalistische Leistung hervor. Aber diese Bewerber von Elitemedien besitzen eben auch ideale Arbeitsbedingungen. Der Spiegel-Journalist hat gegenüber dem freiberuflichen Autor oder einem Lokaljournalisten einen deutlichen arbeitstechnischen Vorteil. Monatelange Recherche und weitere Profis im Kollegenkreis, die Unterstützung bieten, erleichtern die Generierung journalistischer Qualität, besonders wenn das Gehalt immer sicher ist. So kommt es dann oft zu einer Preishäufung bei den Elitemedien und einzelnen Topjournalisten*innen. So entsteht dann ein Fall wie Mario Kaiser. Auch wenn es verdiente Preise sind, bleibt es nicht unproblematisch. Insofern bildet sich also für die vielfach preisgekrönten Journalisten*innen mit festen Gehältern noch eine zweite Einnahmequelle, die eigentlich den freiberuflichen Journalisten*innen mehr zugutekommen sollte. Deshalb bringt die Jury vom Otto-Brenner Preis besondere Aufmerksamkeit den weniger bekannten Journalisten*innen entgegen. Besonders auch jenen aus der Lokal- und Regionalpresse, da dort wichtige Arbeit für die Gesellschaft und die Demokratie in Deutschland geleistet wird.

Kann sich Technik/Wissenschaftsjournalismus komplett ohne Preise durchsetzen und Relevanz für Journalisten behalten?

Prof. Dr. Lilienthal: „Kurz gesagt ja, der Technikjournalismus kann sich auch ohne diese Preise halten. Die Stellung der Preise für ein journalistisches Feld ist überschätzt. Man kann nicht davon ausgehen, dass ein journalistisches Feld ohne Preisstiftungen nicht überleben würde. Der Technik- oder Wissenschaftsjournalismus muss seine Relevanz gegenüber dem Publikum beweisen. Dabei geht es um eine tiefgehende, analytische Bearbeitung eines gesellschaftlich relevanten Themas. Wenn dies geleistet wird und das Publikum zufriedengestellt ist, ist die Existenzberechtigung gegeben. Dafür braucht es nicht noch einen Preis und eine Jury, die das Ganze bewertet.

Die grundsätzliche Steuerungsfunktion von Journalistenpreisen ist darin zu sehen, dass man das Publikum auf besonders guten Journalismus aufmerksam macht. Aufgenommen wird das durch die Gesellschaft, in der einzelne Preisstifter Wertschätzung ausdrücken, und zwar mit diesen Preisen. Eine Honorierung und die Wertschätzung bieten nochmal einen Motivationsschub im journalistischen Feld. Dieser Motivationsfaktor ist wichtig und verstärkt den Ehrgeiz, er gibt positive Impulse in das journalistische Feld.“ 

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