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„Mich würde es nicht stören, wenn Elon Musk auf dem Mars lebt.“

Jan Vollmer ist Redakteur für digitale Wirtschaft beim Magazin t3n und befasste sich im Rahmen eines Artikels mit Utopien im Space Age der fünfziger und sechziger Jahre. Im Interview erklärt er, wie der Begriff New Work von einer Utopie zur leeren Phrase wurde, welche dystopische Zukunft die digitale Arbeitswelt durch Gig Economy erschaffen könnte und warum es ihn nicht stört, wenn reiche Menschen den Mars besiedeln.

Ein Gastbeitrag von Tobias Rühl

Jan Vollmer möchte keine Bilder von sich im Internet veröffentlichen, da er die Entwicklung der Gesichtserkennungsalgorithmen kritisch sieht. Deshalb verwendet er ausschließlich dieses kryptische Portrait. (Foto: Vollmer)

Was verstehst du unter einer digitalen Arbeitswelt?

Vollmer: Ich denke, dass unsere Arbeitswelt schon größtenteils digitalisiert ist und es daher schwierig ist, zwischen analogen und digitalen Jobs zu unterscheiden. Selbst wenn man einen Goldschmied oder eine Goldschmiedin als Beispiel nimmt, was jetzt kein digitaler Job in dem Sinne ist, versuchen solche Berufsgruppen heute über Social Media Kunden zu erreichen. Daher fällt es mir hier schwer eine Unterscheidung zu treffen.

Obwohl die digitale Arbeitswelt bereits Realität ist, wie denkst du könnte eine utopische Zukunftsvorstellung aussehen?

Vollmer: Wenn man die Arbeitswelt allgemein betrachtet, könnte es eine Zukunft sein, bei der es in der Wirtschaft weniger um Gewinne und Wachstum geht, sondern die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit in den Vordergrund rückt. Das funktioniert nur, wenn man sich damit beschäftigen kann und nicht darauf angewiesen ist, Geld um jeden Preis heranzuschaffen. Diese Aspekte finde ich viel interessanter als die Frage, ob eine Tätigkeit nun vor dem Bildschirm stattfinden wird oder nicht.

Gig Economy als Gefahr für die Arbeitswelt

Und was könnten negative Aspekte sein, die in Richtung Dystopie gehen?

Vollmer: Was ich als eine Gefahr sehe, ist die sogenannte Plattformökonomie. Bereits heute gibt es immer mehr Plattformen mit Geschäftsmodellen wie das von Uber. Dort ist der Fahrer oder die Fahrerin selbstständig und arbeitet für das Unternehmen, was im Prinzip eine Scheinselbstständigkeit ist. Diese Arbeiter nennt man auch Gig Worker, die Teil der Gig Economy sind. Dazu kommen andere prekäre Arbeitsmodelle im Dunstkreis der Tech-Konzerne, zum Beispiel die Sub-Subunternehmer bei Amazon oder Cleaner, die für Facebook die Plattform sauber halten. Die Gefahr ist, dass es in Zukunft immer mehr dieser Jobs und immer weniger richtige Jobs gibt. Damit steht man plötzlich als einzelner Selbstständiger oder Selbständige der Übermacht von Konzernen wie Amazon gegenüber und muss zeitweilig deren “terms of conditions” akzeptieren.

Du meinst, dass die meisten Menschen dann nur noch freiberuflich in Mikro-Angestelltenverhältnissen leben?

Vollmer: Gig Economy und Clickworker stehen eigentlich genau dafür: Wenn sich Leute auf Plattformen anmelden und diese dann die eigentlichen Gewinne erzielen. Sie können dann durch ihre Allgegenwart eine Art Steuer auf alles erheben. Wenn etwa ein Großteil der Gesellschaft über Amazon stattfindet und der Konzern davon immer profitiert, ist es gewissermaßen so, als ob Amazon private Steuern auf alles erhebt.

Arbeitnehmerschutz leidet

Was genau ist die Gig Economy?

Vollmer: Ein Gig ist ein einmaliges Event. Eine Band hat zum Beispiel einen Gig, für den sie ein paar hundert Dollar bekommt. In einer Gig Economy werden Leute für einzelne Leistungen bezahlt. So leistet etwa ein Selbstständiger für Uber eine Fahrt ab und Uber gibt ihm dafür 20 Dollar und das war’s. Es gibt kein Angestelltenverhältnis, keine Gewerkschaft, keine Krankenversicherung, keine Sicherheit. Jeder muss dann für sich schauen, wie er über die Runden kommt. Diese Entwicklung ist für mich eine dystopische Vorstellung.

Mit der Coronapandemie ist ein Aspekt der digitalisierten Arbeitswelt schlagartig Realität für viele Menschen geworden: Das Home-Office. Wie erlebst du die Berichterstattung darüber? Hat sich durch die Pandemie etwas daran verändert?

Vollmer: Ja ich habe eine Veränderung bemerkt. Vor der Pandemie lag der Fokus eher auf der Diskussion um New Work, digitale Nomaden und Ähnlichem, weil das Thema eher abstrakt war. Und jetzt mit Corona ist Home-Office plötzlich Realität. Damit lernen die Menschen zwangsläufig die Vor- und Nachteile kennen.

New Work: Alles und nichts

Du hast gerade den Begriff New Work angesprochen. Kannst du den genauer erläutern?

Vollmer: Also ich würde fast behaupten, dass New Work ein sehr schillernder Begriff ist. Geprägt hat ihn eigentlich der Philosoph Frithjof Bergmann. Das Interessante hierbei ist, dass er den Begriff New Work zwar sehr geprägt hat und dieser gerade in den letzten zwei Jahren immer wieder auftaucht, aber wenn man ehrlich ist, hat er den Begriff nie konkretisiert. Ich habe Frithjof Bergmann selbst vor ein paar Jahren interviewt und was er eigentlich die ganze Zeit sagt ist: Man sollte tun, was man wirklich, wirklich will. Wie genau man das herausfindet und umsetzt, erklärt Frithjof Bergmann nicht. Von daher ist der Begriff ein bisschen leer. Alles ist New Work und nichts ist New Work.

Also ist es eher eine leere Phrase für dich. Was wurde mittlerweile aus dem Begriff New Work gemacht?

Vollmer: Ich glaube es ist immer noch eine Phrase. Ich denke Frithjof Bergmann ist ein sehr charismatischer Mensch, der gerne auf Konferenzen eingeladen wird. Dort spricht er dann darüber, was er alles gegründet und verändert hat. Aber wenn man dann konkret nachschaut, findet man nichts mehr davon. Er spricht etwa von seinen New Work-Zentren. Ich habe lange recherchiert und gesucht, aber es gibt kein einziges davon. Und es scheint auch niemanden zu stören, dass es eine Phrase bzw. Catch-Phrase ist.

Landwirtschaftliche Arbeit neben dem Bürojob

Auf vielen New-Work-Internetseiten werden Aspekte wie Homeoffice oder flache Hierarchien dem Begriff zugeschrieben. Meinst du diese Begriffe sind New Work zugeschrieben worden, weil sie in die moderne Zeit passen?

Vollmer: Das ist schwer zu sagen. Frithjof Bergman hatte eigentlich nur die Idee, dass Leute machen sollen, worauf sie Bock haben und was sie erfüllt. Aber auch das nicht fünf oder sieben Tage die Woche, sondern einen speziellen Teil der Zeit sollten sie auch landwirtschaftliche Arbeit machen können, weil das Menschen gut tut. Und einen Teil der Zeit sollten sie etwas mit ihren Händen bauen. Aber wie gesagt, es ist nie so ganz konkret geworden. Und jetzt ist es so eine Art Buzzword für alles, was nicht dem klassischen Berufsbild, wie zum Beispiel fünf Tage die Woche in einer Versicherung zu arbeiten, entspricht. Mir fällt es schwer das konkret einzugrenzen.

Frithjof Bergmanns Idee von New Work war ursprünglich eine Utopie für eine bessere Gesellschaft. Denkst du, dass Journalisten solche Ideen übernehmen und in ihren Artikeln mit Utopien oder Dystopien arbeiten dürfen?

Vollmer: Natürlich kann man aufzeigen, wohin eine Entwicklung führen könnte. Selbstverständlich muss dabei für alle verständlich sein, was schon Realität ist und was nur Befürchtung oder Hoffnung.

Raumfahrt als Utopie

Hast du selbst schon einen Artikel geschrieben, indem du beispielweise Science-Fiction Elemente hergenommen hast oder träumerisch warst, im Sinne von einer Utopie oder Dystopie?

Vollmer: Also ich habe mal einen Artikel über Dystopien und Utopien an sich geschrieben, aber natürlich nichts, was fiktiv war.

Um was ging es in dem Artikel?

Vollmer: Der Schwerpunkt lag eher auf Utopien und in dem Artikel ging es um das Space Age. Das war etwa die Zeit von den Fünfzigern und Sechzigern bis zu den Achtzigern, als das Space Race stattfand. Das heißt der Wettlauf um den ersten Menschen auf dem Mond zwischen den USA und der Sowjetunion. Der Artikel beleuchtet, welche Rolle Weltraum Utopien für die Menschen damals gespielt haben.

Was waren das für Vorstellungen und Utopien?

Vollmer: Das kommt auf die Perspektive an: Für die Sowjetunion waren das Vorstellungen von einer neuen sowjetischen Gesellschaft im All und für die USA war generell das Ideal von Fortschritt dahinter. Allgemein ging es auf beiden Seiten um das Bezwingen der Natur und das Bild von: “Der Mensch wächst über sich hinaus”. Generell stand dieser Gedanke des Pioniers, der unbekannte Orte entdeckt, im Vordergrund.

Nerdige Berichterstattung

Das Bild zeigt einen Teil der 60 Testsatelliten, die Elon Musks Raumfahrtunternehmen Space X für das Projekt Starlink in den Weltraum schoss. (Foto: Marco Langbroek via SatTrackBlog)

Ist das Thema heute noch aktuell?

Vollmer: Es gibt auf jeden Fall ein neues Space Race. Das zeigen verschiedene private Projekte, wie Kuiper von Amazon-Gründer Jeff Bezos, OneWeb oder Starlink von SpaceX. Außerdem gibt es das Mars-Programm der NASA oder ein umfangreiches chinesisches Raumfahrtprogramm. Erst vor kurzem war ein chinesischer Roboter auf dem Mond. Es gibt also wieder vermehrt Aktivität. Ein Begriff für die Privatisierung der Raumfahrt ist New Space. Dadurch habe ich schon das Gefühl, dass dieses Thema stark in der Öffentlichkeit steht. Zum Beispiel waren NASA-Pullover im letzten Jahr sehr beliebt und modisch. Elon Musk ist auch eine Person, die für sehr viel Interesse sorgt. Wenn man überlegt, was es für einen medialen Widerhall gab, als Space X einen Tesla ins All geschossen hat. Also ich würde schon sagen, dass es da einen neuen Hype gibt.

Wie nimmst du die Berichterstattung darüber wahr?

Vollmer: Also ich würde sagen sie ist relativ nerdig. Es gibt auch nicht so viel was man aktuell daran schlecht finden könnte. Klar, es gibt teilweise die Befürchtung, dass die Erdumlaufbahn militarisiert wird, aber ich glaube größtenteils ist es schon eher positiv. Das ist wieder der Fortschrittsgedanke, welcher bei der Herausforderung auf den Mars zu kommen oder bei Dingen wie Weltraumtourismus eine große Rolle spielt.

Marsbesiedelung als Dystopie?

Welche positiven Entwicklungen im Sinne einer zukünftigen Utopie würdest du dir dadurch erhoffen?

Vollmer: Kurzfristig gesehen kann das neue Space Race mit Projekten wie StarLink für schnelleres Internet sorgen. Langfristig sehe ich da eigentlich nicht so viel Positives darin, aber auch nichts Schlechtes. Bei der Mars-Mission gibt es zum Beispiel die Vorstellung, eine reiche Elite dort anzusiedeln. Das ist jetzt nichts, worin ich hier einen gesellschaftlichen Nutzen sehe.

Also wäre das dann eher eine dystopische Seite, wenn reiche Menschen auf dem Mars leben und die Armen bleiben auf der Erde zurück und müssen mit dem Klimawandel bzw. anderen Problemen weiterleben?

Vollmer: Ich glaube es ist weder dystopisch noch utopisch. Ich habe nicht das Gefühl, dass es mich persönlich sonderlich beeinflussen würde, wenn Elon Musk irgendwann auf dem Mars lebt. Mal ganz abgesehen davon, dass es dort noch viel ungemütlicher ist, als auf einer überhitzten Erde.

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