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Katar – wie die arabische Supermacht die Pressefreiheit mit Füßen tritt

Mitte November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Abseits vom Sportevent macht der Wüstenstaat besonders durch Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen. Gerade den vielen Gastarbeiter*innen im Land fehlt eine Stimme, die Pressefreiheit leidet – obwohl der wichtigste arabische Nachrichtensender Al Jazeera zu Gründungszeiten genau dieses bot.

Die Bilder der imposanten Skyline in der katarischen Hauptstadt Doha kennt inzwischen fast jede*r. Katar wirkt auf den ersten Blick prunkvoll, modern und fortschrittlich. Gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gilt Katar als das viertreichste Land der Welt. Im Jahr 2020 lag die Arbeitslosenquote bei rund 0,2 Prozent. Die Prognose für das Jahr 2024 beläuft sich auf rund 0,1 Prozent. Zudem hat der reiche Wüstenstaat unter dem Motto Qatar National Vision 2030 ein mittelfristiges Entwicklungsprogramm für eine leistungsfähige Infrastruktur geplant. Laut dem Generalsekretariat für Entwicklungsplanung sei das Ziel  “Katar in eine entwickelte Gesellschaft zu transformieren, die in der Lage ist, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen”. An diesem Plan ist auch die Deutsche Bahn beteiligt, welche den Auftrag erhalten hat, ein 325 Kilometer umfassendes Schienenverkehrsnetz aufzubauen.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

In der Realität überschatten schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen das kleine Land östlich von Saudi-Arabien. Im Demokratieindex 2020 der britischen Zeitschrift The Economist belegt Katar Platz 126 von 167 Ländern und gehört damit zu den „autoritären Systemen“. Laut dem Länderbericht Freedom in the World 2017 der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Freedom House wird das politische System des Landes als „nicht frei“ bewertet. Laut Amnesty International zählen unter anderem die Diskriminierung von Ausländern, fehlende Arbeitsrechte, die Verfolgung von Homosexuellen und eingeschränkte Frauenrechte zu den vielen Problemen, die in Katar herrschen.

Al Jazeera – Der vermeintliche Leuchtturm des Journalismus in der Arabischen Welt

Zu Teilen ist es die Aufgabe des Journalismus, auf solche Missstände aufmerksam zu machen. Der wichtigste Nachrichtensender im arabischen Raum ist Al Jazeera. Dieser wurde 1996 in Doha gegründet und galt ursprünglich als der Lichtblick des Journalismus im Nahen Osten. Der Sender diente als Stimme der unterdrückten Minderheit und berichtete hauptsächlich über das Leid der Menschen in Katar. Besondere Bekanntheit erlangte der Sender nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 und dem daraus resultierenden Krieg in Afghanistan. Al Jazeera besaß als einziger Sender ein Redaktionsbüro in Kabul. Sie sendeten in der ganzen Welt die Bilder des Krieges, welche dann auch von westlichen Medien übernommen wurden. Die Berichterstattung fokussierte sich auf das Leid der Zivilbevölkerung. Was wiederum die amerikanische Regierung verärgerte. Sie warfen dem Sender vor, eine “antiamerikanische” Sichtweise anzunehmen. Hamad bin Chalifa Al Thani, Gründer des Senders und damaliger katarischer Emir, wies die Anschuldigungen unter Hinweis auf die Pressefreiheit zurück.

Journalist*innen haben es nicht immer einfach. Quelle: Unsplash

Aufgrund der kritischen Berichterstattung über die Konflikte im Nahen Osten musste Al Jazeera immer wieder Rückschläge hinnehmen. Redaktionsbüros in Nachbarländern wurden geschlossen, Sendelizenzen entzogen, Kamerateams und Journalist*innen erschossen. Der arabische Raum distanzierte sich immer weiter von Katar und isolierte das Land regelrecht. Die Gründe hierfür basierten auf Vorwürfen der Nachbarländer, Katar würde terroristische Gruppen in den jeweiligen Ländern unterstützen. Nachdem mehrere arabische Länder Al Jazeera innerhalb weniger Tage die Sendelizenz entzogen und seine Büros schlossen, sagte Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen: „Was Al Jazeera in diesen Tagen erlebt, ist eine offensichtlich international abgestimmte Kampagne unverhohlener politischer Zensur. […] Mit dieser massiven Repressionswelle gegen einen Nachrichtensender von internationaler Bedeutung demonstrieren Saudi-Arabien und seine Verbündeten ihre völlige Geringschätzung der Medienfreiheit.“

Starke Kritik am Sender

Trotz all dem gab es aber eine immer größer wachsende Kritik an dem katarischen Nachrichtensender. Der Sender wird beschuldigt, längst keine unabhängige Berichterstattung zu bieten, sondern eine enorme meinungsbildende Kraft herbeizuführen, die vor allem als Propagandainstrument der Muslimbruderschaft diene. Laut unabhängigen Experten trägt der Sender wesentlich zur islamistischen Radikalisierung des arabischen Raumes bei. Der ehemalige Deutschland-Korrespondent von Al Jazeera und Leiter des Büros, Aktham Suliman, verließ den Sender im Oktober 2012. In der FAZ erhob er den Vorwurf einer seit 2004 massiven politischen Einflussnahme der katarischen Regierung auf den Sender in Richtung einer positiven Berichterstattung zugunsten von islamistischen Gruppierungen. Ferner sagte er, der Nachrichtensender Al Jazeera sei der Wahrheit verpflichtet. „Jetzt wird sie verbogen. Es geht um Politik, nicht um Journalismus. Für die Reporter heißt das: Zeit zu gehen. […] Die Talfahrt zwischen 2004 und 2011 war schleichend, unterschwellig und sehr langsam, doch mit einem katastrophalen Ende.“

Die Pressefreiheit bereits früh eingeschränkt

Jenes katastrophale Ende zeichnete sich bereits früh ab. Ein besonderes Problem des Journalismus in Katar ist das Pressegesetz von 1979. Dieses wurde seitdem nie reformiert und ermöglicht eine Vorzensur von Publikationen. Faktisch ist es so flexibel gestaltet, dass die katarische Regierung zu jeder Zeit Verbote erweitern und quasi nach Belieben auslegen kann. Systemkritische Veröffentlichungen sind de facto nicht möglich. Kritik an der Herrscherfamilie ist ein absolutes Tabu. 2014 wurde ein Gesetz gegen Cyberkriminalität verabschiedet. Das Gesetz stellt die Verbreitung von vermeintlichen Fake-News unter Strafe. Zusätzlich unterliegen einige Internetseiten der Zensur. Beim Aufruf mancher Seiten wird der Nutzer auf eine Seite der Qatar Telecom weitergeleitet, dem einzigen Telekommunikationsunternehmen in Katar. 2016 legte das Unternehmen offen, dass  68 Prozent der Anteile regierungsnahen Einrichtungen gehören.

Des Öfteren wurden ausländische Journalist*innen in Doha verhaftet, berichtet Justin Shilad von der NGO Committee to Protect Journalists: „Es gibt viel Selbstzensur und Überwachung. Und auch im Ausland zögern viele Aktivisten mit der Kontaktaufnahme zu katarischen Informanten. Es ist sehr schwer, Menschen für offizielle Interviews zu sprechen. Die Angst vor Verhaftungen und juristischen Sanktionen ist groß.“ Es kommt noch hinzu, dass es für Journalist*innen vor Ort keine Gewerkschaften oder Interessenvertretungen gibt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Katar Platz 119 von 180.

Große Stadien auf Kosten von Menschenleben

Vor allem die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar hat zu einer Welle der Kritik geführt. Neben den allgemeinen Menschenrechtsverletzungen machen aktuell besonders die Berichte über die toten Gastarbeiter*innen Schlagzeilen, die während der Baumaßnahmen der neuen WM-Stadien ums Leben gekommen sind. Laut einer Recherche des Guardian haben zwischen 2010 und 2020 insgesamt 6500 Menschen ihr Leben verloren. Das katarische WM-Organisationskomitee erfasst seit 2014 Daten und veröffentlicht diese. Laut diesem seien bislang nur 40 Menschen ums Leben gekommen. Unabhängige Experten gehen von einer Verschleierungs-Masche aus. Die Zahl des Guardian sei realistisch.

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Die katarische Regierung hat vor Beginn der WM bereits schwerwiegende Einschränkungen zu der erlaubten Berichterstattung angekündigt. Ausländische Sender dürfen laut den Drehgenehmigungen nicht in Unterkünften filmen, in denen die Gastarbeiter*innen untergebracht sind. Auch dürfen keine Aufnahmen in Regierungsgebäuden, Universitäten und Krankenhäusern gemacht werden. Katar äußerte sich bereits zu der Kritik und teilte mit, dass bereits Lockerungen für TV-Sender umgesetzt worden sind. So müssen Sender vorher nicht der Bedingung zustimmen, dass über konkrete Themen nicht berichtet werden darf. Dies betreffe Berichte, die „unangemessen oder beleidigend für die katarische Kultur und die islamischen Grundsätze” sein könnten. Oberflächlich scheint sich etwas getan zu haben. Dennoch kritisieren westliche Medienvertreter*innen, dass man nicht von einer freien Berichterstattung reden könne. Sie fürchten Konsequenzen. Die Pressefreiheit scheint ein flüchtiges Gut zu sein.

Das ungewisse Ende

Die Welt blickt gespannt nach Katar. Noch nie war ein globales Sportevent so umstritten wie die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft. Die Strategie des Landes, die Missstände und die fehlende Pressefreiheit mithilfe des Turniers zu verschleiern, scheint nicht aufzugehen. Mit dem Näherrücken des Auftaktspiels am 20. November werden die Stimmen und Proteste aus dem Westen immer lauter. Sie verlangen eine Veränderung. Einen Boykott. Konsequenzen. Inwiefern am Ende des Tages die Fußball-WM einen Erfolg für Katar darstellen wird, bleibt abzuwarten. Was aber feststeht, ist, dass es einer geschlossenen Haltung gegenüber dem Emirat bedarf.

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