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Cancel Culture: mehr Selbstjustiz als Gerechtigkeit?

Das Phänomen Cancel Culture hat in den letzten Jahren für enorme Aufmerksamkeit gesorgt.  Die ursprünglich als Korrekturmittel gedachte Bewegung ist zu einem zweischneidigen Schwert zwischen Korrektur von Fehlverhalten und dem Untergraben der Meinungsfreiheit geworden.

Die Idee hinter der Cancel Culture ist es, Personen, die kontroverse oder fragwürdige Ansichten vertreten, öffentlich zu diskreditieren und zu boykottieren. Wenn jemand “gecancelt” wird, soll diese Person aus der Öffentlichkeit verschwinden und die eigene Position verlieren. Soziale Medien spielen hierbei eine entscheidende Rolle, da sie eben eine Plattform bieten, die sich dafür eignet Missstände anzuprangern und Unterstützung für die Betroffenen zu mobilisieren. Allerdings ist es gerade diese Plattform, die auch die Ausbreitung von Gerüchten und unbestätigten Anschuldigungen begünstigt.

Alles fair?

Ein Kernproblem der Cancel Culture liegt in ihrer extremen Unnachgiebigkeit. Oftmals reicht ein einziger Fehltritt aus, um eine Person auf sozialen Medien zu “canceln” – ohne Raum für Dialog oder Reflexion. Dies führt zu einem Klima der Angst, in dem Menschen ihre Meinungen zurückhalten oder verstecken, um nicht selbst Zielscheibe zu werden. Die Cancel Culture kann somit zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen, wenn Menschen aus Furcht vor Konsequenzen vorsichtiger mit ihren Aussagen umgehen oder ihre Stimmen ganz zum Schweigen bringen, bevor sie zum Schweigen gebracht werden.

Eine weitere Problematik der Cancel Culture ist die mangelnde Möglichkeit zur Wiedergutmachung. Wenn jemand öffentlich “gecancelt” wird, gibt es kaum Raum für eine echte Entschuldigung oder eine Chance zur Veränderung. Die betroffene Person wird oft für immer mit ihren Fehltritten gebrandmarkt, selbst wenn sie sich reuig zeigt und versucht sich zu bessern. Dieser mangelnde Raum für Wachstum und Vergebung kann langfristig zu einem zermürbenden Effekt führen und das Potenzial haben, Menschen weiter in extremistische Ansichten zu treiben.

Ein schmaler Grat

Zweifellos gibt es Fälle, in denen die Cancel Culture positive Veränderungen bewirkt hat. Sie hat dazu beigetragen, rassistische, sexistische und diskriminierende Verhaltensweisen ans Licht zu bringen und den Opfern eine Stimme zu geben. Beispielsweise wurde 2017 der Oscar-prämierte Schauspieler Kevin Spacey mit Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens konfrontiert. Diese Vorwürfe führten dazu, dass er aus mehreren Film- und Fernsehprojekten herausgeschnitten wurde und sein Ansehen in der Unterhaltungsbranche erheblich gelitten hat.

Auch wurde die Harry Potter Autorin J.K. Rowling zur Zielscheibe der Cancel Culture. Viele haben ihr Transphobie und Bigotterie vorgeworfen, weil sie sich zu Transgender-Rechten und Geschlechtsidentität geäußert hat. Im Jahr 2020 sorgte sie mit einem Essay für weitere Empörung, in dem sie behauptete, dass “Geschlechter real sind” und kritisierte, dass der Begriff “Frau” durch “Menschen, die menstruieren” ersetzt wurde. Der neue Ausdruck wird verwendet, um zwischen Transfrauen und Menschen, die biologisch als Frauen geboren wurden, zu unterscheiden. Ihre Äußerungen führten zu zahlreichen Aufrufen, sie zu “canceln. “Viele Menschen schworen, ihre Bücher nie wieder zu lesen. Mitglieder der Harry-Potter-Besetzung, darunter Daniel Radcliffe, Rupert Grint und Emma Watson, haben ihre Kommentare scharf kritisiert.

Doch es ist entscheidend, dass wir uns auch bewusst sind, dass die Cancel Culture ihre eigenen Grenzen hat und dass sie leicht zu einer Form der Selbstjustiz werden kann. Die öffentliche Bloßstellung und Bestrafung von Einzelpersonen darf nicht die Rolle rechtsstaatlicher Institutionen und fairer Gerichtsverfahren ersetzen. Um die Probleme der Cancel Culture anzugehen, ist ein differenzierterer Ansatz notwendig. Statt reflexartiger Verurteilung sollten wir den Raum für Dialog und den Austausch von Meinungen bewahren. Statt Menschen dauerhaft zu “canceln”, sollten wir sie dazu ermutigen, aus ihren Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Problem der Definition

Die Problematik des Begriffs “Cancel Culture” steckt in den Wurzeln des Begriffs selsbst. Dieser ruft zu einem direkten Boykott auf und lässt keinen Raum für Wiedergutmachung. In der Öffentlichkeit wird diese Problematik auch angesprochen. So auch seitens des irischen Schauspielers Graham Norten. Er ist der Meinung, dass der Begriff für dieses Phänomen eher die Accountability, zu deutsch also die Rechenschaftspflicht ist. Es muss hart sein, eine Person gewesen zu sein, die immer alles sagen konnte. Und plötzlich kannst du das nicht mehr. Du hast das Recht auf freie Meinungsäußerung, diese ist aber nicht konsequenzfrei. Du musst Rechenschaft ablegen.

Graham Norton zum Thema Cancel Culture.
Quelle: Twitter @bmay

Die Cancel Culture mag ihre Wurzeln in guten Absichten haben. Aber ihre extreme Natur und ihre Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit verdienen eine kritische Betrachtung. Es ist an der Zeit, dass der Dialog wiederbelebt und der Raum für Reflexion und Veränderung erweitert wird. Nur so kann eine Kultur der Toleranz und des Fortschritts geschafft werden, die auf Respekt und Vergebung basiert, anstatt auf Angst und Vergeltung.

Wie in diesem Artikel bereits beschrieben, ist die Beschränkung der Meinungsfreiheit ein großes Problem der Cancel Culture. Diese Problematik wurde auch groß diskutiert, als bekannt wurde, dass Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter übernehmen wird. Du möchtest mehr über Twitter und Musk erfahren? Dann hör’ doch gerne in unsere FutureComCast Episode #12 rein!

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