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Wie “Reporter ohne Grenzen” die Pressefreiheit schützt. Im Interview mit Christian Mihr

Die Pressefreiheit ist hier in Deutschland in unseren Grundrechten verankert. Aber nicht überall auf der Welt ist sie selbstverständlich. Mehr als 50 Journalist:innen und Medienschaffende wurden 2020 aufgrund ihrer Arbeit getötet – Angriffe auf die Pressefreiheit. Wir waren vor Ort auf den Medientagen in München und durften mit Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, ein exklusives Interview führen.

Ein Interview von Alicia Seiler und Katharina Stöger

Christian Mihr ist seit 2012 Geschäftsführer der Institution “Reporter ohne Grenzen”. Er war mehrere Jahre als Journalist im Ausland tätig und Journalismus-Dozent in verschiedenen Ländern Lateinamerikas und Osteuropas. Daher ist es für ihn besonders wichtig, bei “Reporter ohne Grenzen” unabhängigen Journalismus zu verteidigen und sich für Medien- und Informationsfreiheit einzusetzen.

Reporter ohne Grenzen – wer seid ihr eigentlich?

Herr Mihr, können Sie “Reporter ohne Grenzen“ kurz vorstellen?

Mihr: Wir von “Reporter ohne Grenzen” setzen uns für das Menschenrecht auf Pressefreiheit weltweit ein. Wir verteidigen dieses Recht, indem wir verfolgten Journalisten:innen in Notlagen auf der ganzen Welt konkret helfen. Wir leisten anwaltliche und finanzielle Unterstützung. Wir leisten aber auch Hilfe durch Psychotherapie, wenn Journalisten:innen gefoltert wurden und helfen im schlimmsten Fall auch Menschen bei der Flucht.

Sie verteidigen die Pressefreiheit auch politisch und juristisch. Was bedeutet das genau?

Mihr: Politisch heißt, wir schaffen Aufmerksamkeit für Verbrechen gegen die Pressefreiheit. Wir schlagen Alarm, wenn Menschen wegen ihrer journalistischen Tätigkeit ermordet werden. Dann machen wir Kampagnen und Pressemitteilungen in vielen verschiedenen Sprachen. Büros und Kollegen haben wir auf der ganzen Welt, das heißt wir arbeiten mit einem weltweiten Netzwerk. Aber wir gehen auch vor Gericht. Wenn die Pressefreiheit durch Gesetze von Regierungen angegriffen wird, versuchen wir gegen die Straflosigkeit anzukämpfen. 

Erfolge vor Gericht

Haben Sie für dafür ein konkretes Beispiel?

Mihr: Wir haben in diesem Jahr hier in Deutschland eine Strafanzeige gegen mehrere Vertreter Saudi-Arabiens eingereicht, auch gegen den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In Mexiko haben wir dieses Jahr eine Klage erfolgreich gewonnen, wegen dem Mord an einem Journalisten.

Haben Sie auch in Deutschland die Pressefreiheit schon einmal juristisch verteidigt?

Mihr: Ja, auch in Deutschland ziehen wir vor Gericht, wenn aus unserer Sicht pressefreiheitsfeindliche Gesetze, wie zum Beispiel das „Gesetz zum Bundesnachrichtendienst“, verabschiedet werden. Da haben wir im vergangenen Jahr einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht gefeiert. Aufgrund unserer Klage hat das Gericht entschieden, dass das Gesetz zum Bundesnachrichtendienst, so wie es die Bundesregierung verabschiedet hat, ein eklatanter Verstoß gegen die Pressefreiheit ist.

Wie wichtig schätzen Sie Solidarität unter Journalist:innen ein?

Mihr: Für Journalisten:innen ist es wichtig gemeinsam aufzustehen, wenn ein Kollege oder eine Kollegin angegriffen wird. Da ist auch manchmal der Blick über den Tellerrand wichtig. In vielen Ländern, wie zum Beispiel Mexiko, gibt es so eine Solidarität unter Journalisten:innen nicht, verglichen mit Deutschland. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Angriff auf einen Journalisten als ein Angriff auf alle Journalisten und auf die Pressefreiheit gewertet wird. Es ist daher wichtig diese Solidarität zu bewahren.

Die Pressefreiheit in Deutschland

Was halten Sie von der Äußerung von Hans Georg Maaßen, der im Sommer dieses Jahres einen Gesinnungstest für Journalisten:innen des öffentlichen Rundfunks gefordert hat?

Mihr: Also wenn ich ehrlich bin, dann ist das Teil einer Diffamierung. Es ist eine systematische Diffamierung eines ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, der damals für den Bundestag kandidiert hat, der aber keine politische Funktion mehr hat. Insofern sollte man das nicht allzu ernst nehmen.

Würden Sie sagen, dass auch hier in Deutschland die Pressefreiheit von Institutionen wie “Reporter ohne Grenzen” verteidigt werden muss und sollte man sich um die Pressefreiheit hierzulande Sorgen machen?

Mihr: Ich glaube, wenn wir in Deutschland jammern, dann jammern wir immer auf hohem Niveau. Man muss aber auch sehen, dass Pressefreiheit nichts ist, was selbstverständlich ist. Ich glaube das zeigt manchmal auch der Blick zu den Diktaturen. Insofern denke ich, das ist unsere selbst gestellte Aufgabe. Niemand hat sie uns auferlegt, dass wir hier in Deutschland die Pressefreiheit verteidigen und den Anfängen wehren, gerade auch in Demokratien. Gerade wenn man in einer Demokratie lebt, vergisst man das vielleicht manchmal schnell. Daher versuchen wir von “Reporter ohne Grenzen” die Menschen daran zu erinnern, dass die Pressefreiheit eben nicht selbstverständlich ist.

Was kann jeder Einzelne von uns für die Pressefreiheit machen?

Mihr: Als Einzelperson kann man für guten Journalismus einstehen. Beispielsweise wenn man einen guten journalistischen Artikel gelesen hat, kann man diesen seinen Mitmenschen weiter empfehlen. Zusätzlich kann man Social Media nutzen und gute Beiträge teilen. Außerdem kann man andere über die Kriterien von gutem Journalismus aufklären. 

Das Gesetz zum Bundesnachrichtendienst (BND) regelt:
  • Die Beschaffung von Informationen, einschließlich personenbezogene Daten, von Ausländer:innen im Ausland

  • Befugt den BND nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden, wie beispielsweise das Anzapfen von Datenleitungen oder Abhören von Telefonaten

  • Kritik: Sensible Personengruppen wie Anwälte oder Journalist:innen und deren Quellen werden nicht ausreichend geschützt, anlasslose Massenüberwachung ist uneingeschränkt möglich, verstößt gegen die Presse- und Meinungsfreiheit und verletzt den Quellenschutz

  • Im Mai 2020 erklärt das Bundesverfassungsgericht Teile des BND-Gesetzes aufgrund der Klage von Reporter ohne Grenzen für verfassungswidrig. Die Änderungen des BND-Gesetztes sind am 21.04.2021 in Kraft getreten.

    Über den Autor

    Katharina Stöger

    Katharina Stöger

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