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Von Zukunftsspuren und Wild Cards: Fünf Fragen an den Zukunftsforscher Bernd Flessner

Bernd Flessner ist Zukunftsforscher am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Im Interview spricht er über die Funktionsweise und Bedeutung seiner Forschungsdisziplin und darüber, welche Entwicklungsmöglichkeiten er für die Zukunft der Medien sieht.

Bernd Flessner ist Zukunftsforscher am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schluesselqualifikationen (ZiWiS) der FAU Erlangen-Nuernberg. (Foto: Kurt Fuchs)
Bernd Flessner ist Zukunftsforscher am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Foto: Kurt Fuchs)

Was machen Sie in ihrer Arbeit als Zukunftsforscher? Wie erforscht man etwas, das noch gar nicht passiert ist?

Flessner: In der Zukunftsforschung gibt es über 50 Methoden, deren Ausführung den zeitlichen Rahmen dieses Interviews sprengen würde. Ein Beispiel ist die Suche nach Portents, also nach Zukunftsspuren, die in der Gegenwart und Vergangenheit verborgen sind. Wichtig sind auch Szenario- und Delphi-Studien.

Die seriöse Zukunftsforschung sagt aber keine eine Zukunft voraus, die sicher eintreten wird, sondern beschäftigt sich mit verschiedenen möglichen Zukünften. Die Zukunft ist ja nicht determiniert, sondern veränderbar und basiert auf Zufällen. In anderen Wissenschaften wie der Wirtschaftswissenschaft wird zwar manchmal versucht, zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren. Aber eine zuverlässige Vorhersage ist nie möglich, da es immer komplette Wild Cards, also unvorhersehbare Ereignisse, wie zum Beispiel eine Pandemie, geben kann.

Nachdenken über wünschenswerte Zukünfte

Warum ist es wichtig, die Zukunft zu erforschen?

Flessner: Wir leben in einem postempirischen Zeitalter. Früher konnte man zum Beispiel, wenn man eine Kirche gebaut hat, einfach ausprobieren, ob ein bestimmter Pfeiler stark genug war, um das Gebäude zu tragen. Wenn der Pfeiler zu dünn war, ist die Kirche eingestürzt. Dann gab es vielleicht ein paar Tote, aber mehr ist nicht passiert und beim nächsten Mal hat man einen dickeren Pfeiler verwendet. Mit der Technologie, die wir heute haben, ist das ganz anders. Die Technik, mit der wir heute hantieren, ist viel zu gefährlich, um einfach auszuprobieren, was passiert. Man denke da zum Beispiel an die Atomkraft. Deswegen müssen wir Technikfolgenabschätzung betreiben sowie darüber nachdenken, welche Zukünfte innerhalb des Möglichkeits- und Machbarkeitsraumes sind und welche von ihnen wir als wünschenswert erachten.

Wie wird man Zukunftsforscher?

Flessner: Inzwischen ist Zukunftsforschung ein eigenes Studienfach, zum Beispiel gibt es einen Master an der FU Berlin. Das ist aber eine relativ neue Entwicklung. Die meisten Zukunftsforscher kommen aktuell aus verschiedenen Bereichen, aus Natur- oder Geisteswissenschaften und haben angefangen zur Zukunft zu forschen. Ich habe zum Beispiel Medienwissenschaften studiert und mich seitdem mit Zukunftsforschung beschäftigt.

Kleidung aus dem 3D-Drucker

Ihr Forschungsschwerpunkt ist ja auch die Zukunft der Medien. Was sagen Sie für die Medien voraus?

Flessner: Ich denke, dass die Fragmentierung der Medien weiter voranschreiten wird, also dass wir alle noch viel stärker als jetzt schon in unseren eigenen Blasen leben werden. Außerdem werden die Medien weiter konvergieren. Auch das merken wir bereits: Auf dem Smartphone können wir Zeitung lesen, Videos ansehen und auch telefonieren. Dafür gab es früher verschiedene Geräte und Medien, jetzt ist alles in einem vereint. In Zukunft wird alles zum Medium. Das Auto wird zum Smartphone und das Smartphone zum Auto. Und wenn alles ein Medium ist, gibt es keine Medien mehr. Dann befinden wir uns in einem postmedialen Zeitalter.

Weitere Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich beim sogenannten Fabbing, einem Fertigungsverfahren, das additive und subtraktive Verfahren vereint, also zum Beispiel 3D-Druck, Fräsen, Schneiden und Drehen. Schon heute stellen beispielsweise Flugzeughersteller damit verschiedene Ersatzteile nach Bedarf am benötigten Ort her, anstatt sie um die halbe Welt zu schicken.

Auch für Kleidung eignet sich das Verfahren sehr gut. Es könnte in Zukunft sein, dass wir morgens nicht mehr zum Kleiderschrank gehen, sondern zum hauseigenen 3D-Drucker und uns dann aussuchen, was wir an dem Tag tragen möchten. Und das drucken wir dann aus. Abends wird das Kleidungsstück wieder aufgelöst und das Material kann am nächsten Tag dann wieder verwendet werden. Der Druck läuft dann mit verschiedenen Vorlagen, also wenn ich zum Beispiel eine coole Brille haben möchte, kaufe ich mir das Muster für 80 Cent im Internet und drucke sie dann aus. Und an der Stelle sind wir auch wieder bei einem medialen Aspekt und einem Geschäftsmodell. Ich kann mir vorstellen, dass das schnell umgesetzt werden wird. Denn das wird es oft, wenn ein naheliegendes Geschäftsmodell hinter einer neuen Technik liegt.

Mehr gesellschaftliche Kontrolle über soziale Netzwerke

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft? Wie würden sie die Zukunft gestalten, wenn sie die Fähigkeit dazu hätten?

Flessner: Ich würde die Zukunft auf jeden Fall ökologischer gestalten. Zwar vielleicht nicht ganz fleischlos, aber veganer. Außerdem würde ich die Dichotomie zwischen Arm und Reich auflösen, sodass es keine Milliardäre mehr gibt, höchstens vielleicht noch ein paar Millionäre.

Was die Zukunft der Medien angeht, möchte ich das Internet und die Tatsache, dass ich es mit dem Smartphone immer in der Tasche habe, nicht mehr missen. Ich genieße die Möglichkeiten, die es bietet, sehr, zum Beispiel von unterwegs aus Videos schauen zu können. Darüber hinaus empfinde ich es als wünschenswert, dass keine weitere Vermainstreamung der Medien mehr stattfindet und dass soziale Netzwerke, die ja sehr wichtig für den gesellschaftlichen Diskurs sind, nicht mehr nur von einer oder wenigen Personen abhängen, sondern einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen.

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