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Für Streitkräfte in einer Demokratie ist Rüstungsindustrie notwendig

Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Rüstungsindustrie verstärkt in die gesellschaftliche Debatte gerückt. Die einst vorherrschende Ablehnung weicht mancherorts einer pragmatischeren Sichtweise – aber wie nachhaltig ist dieser Wandel? Im Interview spricht Thomas Wiegold, renommierter Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, über das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz, wirtschaftlichen Interessen und journalistischer Transparenz.

Herr Wiegold, Sie kennen sich gut in der Rüstungsbranche aus. Wie hat sich Ihrer Einschätzung nach die öffentliche Wahrnehmung von Rüstungsunternehmen in den letzten Jahren verändert?

Thomas Wiegold schreibt auf seinem Blog „Augen geradeaus“ über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
Bildrechte: Thomas Wiegold (wiegold.de)

Ich denke, die Wahrnehmung ist deutlich positiver geworden. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gibt es ein anderes Verständnis: Rüstungsindustrie ist nicht mehr nur das Geschäft mit dem Tod, bei dem Kriegsprofiteure profitieren wollen. Sie wird inzwischen auch als notwendig für die Ausrüstung der Streitkräfte betrachtet. Davon profitieren vor allem jene Unternehmen, die als Rüstungsunternehmen klar erkennbar sind.

Wird dieses Thema Ihrer Meinung nach ausreichend in den Medien behandelt?

Das ist schwer pauschal zu sagen. Teilweise ja, teilweise nein. Es hängt stark davon ab, über welche Region und welchen Teil der Rüstungsbranche wir sprechen. Die Werften beispielsweise werden an der Küste in den regionalen Medien ganz anders wahrgenommen als im Binnenland oder überregional. Der Bau von Kriegsschiffen hat in Mecklenburg-Vorpommern eine ganz andere Bedeutung als etwa in Baden-Württemberg. Das spiegelt sich auch in der Berichterstattung wider.

Gibt es dennoch Defizite in der Berichterstattung?

Es gibt unterschiedliche Interessenlagen und ein gewisses gesundes Misstrauen gegenüber der Branche – und das ist auch berechtigt. Natürlich verdienen diese Unternehmen an einer angespannten Weltlage. Andererseits würde ich mir denselben kritischen Blick auch gegenüber anderen Industriezweigen wünschen, etwa der Automobilindustrie.

Ein konkreter Fall war das Sponsoring des BVB durch Rheinmetall. Fußballfans, die bisher wenig Berührung mit Rüstungsthemen hatten, wurden dadurch direkt konfrontiert. Wie bewerten Sie solche Fälle?

Das lässt sich im Moment schwer bewerten. Soweit ich sehe, gab es nach diesem Sponsoring keine weiteren in vergleichbarer Größe oder Bekanntheit. Ich vermute, dass es ein Versuch von Rheinmetall war, um zu testen, wie so etwas öffentlich ankommt. Die Reaktionen waren gemischt, insbesondere aus dem Vereinsumfeld kam teils deutliche Kritik. Dass es bisher keine vergleichbaren Fälle gibt, deutet für mich darauf hin, dass man in der Branche davon ausgeht, dass das gesellschaftliche Verständnis für Rüstungsunternehmen noch nicht weit genug ist, um das weiterzuführen.

Also womöglich ein Thema für die Zukunft?

Genau. Die Frage ist, wie sich die gesellschaftliche Akzeptanz weiterentwickelt. Aktuell beschäftigen die Unternehmen ganz andere Themen, etwa die sogenannte EU-Taxonomie. Diese Klassifizierung hat Auswirkungen auf Kredite und den Umgang mit Banken. Manche Unternehmen haben Schwierigkeiten, überhaupt Bankkonten zu eröffnen. Das betrifft eher die politische und industrielle Ebene als die gesellschaftliche.

Wird über diese Probleme offen kommuniziert?

Die Branche weist regelmäßig darauf hin. Wer sich mit Äußerungen der Rüstungsindustrie beschäftigt, bekommt das durchaus mit. Zum Beispiel hat Rheinmetall bei der Präsentation der jüngsten Geschäftszahlen kein Geheimnis daraus gemacht, dass man derzeit sehr gut verdient. Von mangelnder Transparenz kann man da nicht sprechen – aber man muss auch genau hinschauen, wo und wie diese Aussagen gemacht werden.

Gibt es für Sie als Journalist genug Einblick? Wird genug kommuniziert?

Man wünscht sich als Journalist natürlich immer mehr Offenheit. Manche Unternehmen sagen etwa nur, dass sie ein Produkt verkauft haben, aber nicht an wen – weil der Kunde das nicht möchte. Da würde ich mir im Sinne der gesellschaftlichen Transparenz mehr Klarheit wünschen. Aber die Vorstellung, dass die Rüstungsbranche nur im Schatten operiert, ist überholt. Das ist nicht mehr gerechtfertigt.

Halten Sie es für problematisch, wenn große Events – wie Sportturniere – von Rüstungsfirmen gesponsert werden?

Ich persönlich nicht. Die entscheidende Frage ist aber, wie die Gesellschaft das wahrnimmt. Airbus ist ein Sonderfall: Sie treten vereinzelt als Sponsor auf, werden aber mehr als ziviler Flugzeughersteller gesehen. Dabei produziert Airbus auch Kampfjets und Hubschrauber. In anderen Ländern wie Frankreich oder den USA hat die Rüstungsindustrie ein weniger negatives Image. Aber auch dort ist mir kein Fall bekannt, in dem beispielsweise Lockheed Martin den Super Bowl sponsert. Das findet, soweit ich sehe, nicht statt.

Wünschen Sie sich mehr Offenheit in Deutschland?

Ich würde mir generell einen nüchternen Umgang mit dem Thema wünschen. Man muss kein Fan von Rheinmetall sein, aber realistisch anerkennen: In einem demokratischen Staat braucht es Streitkräfte – und dafür eben auch eine Rüstungsindustrie.

Spielt politische Kommunikation dabei eine zentrale Rolle?

Sie spielt sicherlich eine Rolle. Ob sie die gesellschaftliche Wahrnehmung entscheidend verändern kann, ist fraglich, da sie oft als interessengeleitet wahrgenommen wird. Es gibt inzwischen aber eine etwas normalisierte politische Kommunikation zu dem Thema.

Ein weiteres Thema ist „Dual Use“. Welche Rolle spielen Unternehmen, die Produkte sowohl zivil als auch militärisch verwenden, in der öffentlichen Debatte?

Mit wenigen Ausnahmen spielt das in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Wenn kritische Aktionäre protestieren, fällt auf, dass etwa Mercedes viele LKWs für Streitkräfte liefert. Im Normalfall wird das aber nicht wahrgenommen.

Wünschen Sie sich auch hier mehr Transparenz?

Ja, ich würde mir da mehr Klarheit wünschen. Mercedes spricht gerne über zivile Trucks, weniger über militärische. Aber man muss auch sehen: Der Markt für militärische Produkte ist eng reguliert und richtet sich fast ausschließlich an Staaten. Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich lohnt sich für Unternehmen oft nicht, außer auf speziellen Rüstungsmessen.

Was sind aus Ihrer Sicht die journalistischen Herausforderungen beim Thema Rüstungssponsoring?

Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie öffentlich auftreten. Sie kommen langsam aus ihrer Verteidigungshaltung heraus – früher hieß es: „Alle schlagen auf uns ein.“ Das hat sich gewandelt. Trotzdem muss man realistisch bleiben: Es geht um Produkte, die mit Tod und Krieg zu tun haben – das ist nicht glamourös, und das ist auch gut so.

Und für Sie als Journalist? Wo liegen da die Grenzen?

Die Herausforderung liegt nicht bei mir, sondern bei den Unternehmen. Für mich ist es nicht schwierig zu berichten – schwierig ist nur, wenn ich nicht alle Informationen bekomme, die ich gerne hätte. Etwa, wenn ein Unternehmen ein Produkt verkauft hat, aber nicht sagt, an wen.

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