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11. Dezember 2025
Doppelt verantwortlich? Wie Unternehmen mit dem Dual-Use-Dilemma umgehen
Dual-Use-Technologien bewegen sich im Grenzbereich zwischen zivilem Fortschritt und militärischer Nutzung – und stellen Unternehmen vor eine kommunikative und ethische Herausforderung. Während manche Firmen den Einstieg in sicherheitsrelevante Bereiche offensiv kommunizieren, setzen andere auf Zurückhaltung oder explizite Ablehnung. Industriefirmen wie der Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf, oder Forschungsinstitute wie die der Fraunhofer Gesellschaft, oder etablierte Rüstungskonzerne wie Rheinmetall gehen unterschiedlich mit dem Spannungsfeld um. Wer Vertrauen in sensiblen Themen aufbauen will, muss mehr als nur Technik erklären: Er muss Haltung zeigen.
Vom Zulieferer zum Verteidiger – Das Beispiel Trumpf
Jahrzehntelang war der Laserspezialist Trumpf bekannt für Hightech aus Deutschland: Präzision, Innovation, Zuverlässigkeit. Jahrzehntelang war das Werkzeugmaschinenunternehmen Trumpf als Zulieferer in den Maschinenbau bekannt, für die Automobilindustrie, für Klima- und Energietechnik oder Medizintechnik.
Doch 2025 kündigte das Familienunternehmen an, erstmals in seiner Geschichte über den Einstieg in die Entwicklung von Rüstungsgütern nachzudenken – ein Paradigmenwechsel. Der geplante Einsatz: Laser zur Abwehr von Drohnen. Keine tödliche Waffe, aber ein Schritt in Richtung militärischer Anwendungen.
Bezeichnenderweise ein Jahr nach der russischen Annexion der Krim im März 2014 hatte Trumpf in einem Gesellschaftervertrag 2015 festgelegt, sich nicht an der Waffenproduktion zu beteiligen. Diese zeitliche Nähe spiegelt das gestiegene Bewusstsein für sicherheitspolitische Veränderungen und die Verantwortung der Industrie gegenüber Dual-Use-Technologien wider. Peter Leibinger, Aufsichtsratschef und Miteigentümer von Trumpf, fordert, dass die deutsche Industrie Verantwortung übernimmt: „Auch wir in der Wirtschaft müssen unseren Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie neu bewerten,“ sagt er.
Ein Unternehmenssprecher von Trumpf erklärt: „Wir werden nur Waffensysteme oder Komponenten von Waffensystemen liefern, die nach ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch nicht gegen den Menschen gerichtet sind und ausschließlich zur Abwehr von Objekten dienen“
Dual-Use: Zwischen zivilem Fortschritt und militärischer Nutzung
Der Begriff „Dual-Use“ beschreibt Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch einsetzbar sind – oder es potenziell sein könnten. Dazu zählen etwa:
- KI-gestützte Sensoren,
- autonome Drohnensysteme,
- Quantenverschlüsselung,
- Lasertechnologien,
- additive Fertigung (3D-Druck) für Leichtbauteile.
Historisch betrachtet stammt vieles von dem, was heute Alltag ist – GPS, Internet, Raumfahrttechnologie – ursprünglich aus dem Militär. Heute hingegen geschieht der Innovationsfluss oft in umgekehrter Richtung. Laut dem Positionspapier der EU Kommission „for European Defence Readiness 2030“ besteht die strategische Chance gerade darin, zivile Schlüsselindustrien wie Maschinenbau, Automotive oder Software gezielt in sicherheitsrelevante Innovationen zu überführen.
Kommunikativ ist das allerdings ein Drahtseilakt: Ab wann wird aus einem zivilen Produkt ein Kriegsgut? Und wer darf das entscheiden?
Wer kontrolliert Dual-Use?
EU Verordnung (2021/821):
Regelt Ausfuhr & Kontrolle von Dual-Use-Gütern – erstmals auch unter menschenrechtlichen Aspekten.
Wassenaar-Abkommen (seit 1996):
42 Staaten (inkl. DE) kontrollieren sensible Technologien und Waffenexporte gemeinsam.
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Deutschland):
Zuständig für Exportgenehmigungen – prüft besonders bei sicherheitskritischen Empfängern.
Das ethische Spannungsfeld: Forschen für Frieden – und für den Ernstfall
Gerade in Forschungseinrichtungen ist die Sensibilität groß. Monika Landgraf, die Direktorin der Unternehmenskommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft betont: „Fraunhofer entwickelt solche Technologien, Produkte und Dienstleistungen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen, ihnen entgegenzutreten, Folgeschäden zu minimieren und dadurch insgesamt Risiken zu reduzieren.“
Ähnlich äußert sich Michaela Hutterer, Wissenschaftsredakteurin im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften, vom Max-Planck-Institut: „Da technologischer Fortschritt per se Dual-Use-Fragen mit sich bringt, haben wir intern Leitlinien entwickelt, um zu verhindern, dass Forschung mit Dual-Use-Potenzial systemischen Gegnern zukommt und schließen Kollaborationen mit manchen Akteuren aus.“
Unterschiedliche Kommunikationsstrategien: Schweigen, Framen, Bekennen
Unternehmen, die in Dual-Use-Technologien involviert sind, stehen vor der Wahl: Ablehnen, genau prüfen oder offensiv kommunizieren? Drei Muster lassen sich erkennen:
Typ A: Ablehnung – „Wir machen das nicht.“ Beispiele: Sennheiser, Miele, Sick. Diese Firmen schließen militärische Anwendungen kategorisch aus – entweder aus historischen Gründen (z. B. Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg) oder aus ethischer Überzeugung. Die Kommunikation ist dabei eindeutig – oft verankert in Unternehmensstatuten oder Familiencharters.
Typ B: Öffnung mit Vorbehalt – „Wir prüfen genau.“ Beispiel: Trumpf. Hier findet eine aktive Auseinandersetzung statt, oft über Jahre. Die Kommunikation erfolgt vorsichtig, mit vielen Einschränkungen („nur für defensive Anwendungen“, „nicht gegen Menschen“, „keine Waffenplattformen“). Diese Strategie setzt auf Transparenz und Dialog.
Typ C: Offensive Kommunikation – „Sicherheit braucht Technik.“ Beispiel: Rheinmetall. Hier wird Dual-Use als strategisches Argument verwendet. Im Zentrum steht das Narrativ der Verantwortung: „Technologie für den Schutz der Gesellschaft.“ Auch zivil-militärische Schnittstellen werden betont – etwa Rettungssysteme oder Cyberabwehr. Mehr dazu im Feature „Kommunikation im Schatten der Waffen – Warum Rüstungsunternehmen zur Zielscheibe werden und wie sie trotzdem gehört werden wollen“.
Die gesellschaftliche Debatte: Zwischen Polarisierung und Verantwortung

Quelle: TRUMPF Gruppe
Während Unternehmen intern oft differenziert denken, ist die öffentliche Debatte über Dual-Use stark polarisiert. Mathias John von Amnesty International warnt im Interview: „Besonders kritisch dabei ist, dass solche Güter eben nicht nur bei der Bundeswehr verbleiben, sondern auch exportiert werden und dabei immer wieder zu Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts beitragen.“
Der Diskurs wird häufig vorwiegend von Medien, NGOs oder Aktivistengruppen geprägt. Die Unternehmen hingegen reagieren meist defensiv – dabei könnten sie die Diskussion aktiv mitgestalten.
Fazit: Haltung im Graubereich – Kommunikation als Verantwortung
Dual-Use ist nicht einfach ein technischer Begriff – es ist ein gesellschaftliches Thema, das Unternehmen in den Mittelpunkt moralischer Fragen stellt. Schweigen schützt nicht vor Kritik – es erzeugt sie erst.
Wer Dual-Use-Technologien nutzt oder entwickelt, sollte:
- eine klare Haltung entwickeln,
- zielgruppenspezifisch, aber konsistent kommunizieren,
- ethische Leitplanken offenlegen,
- und sich aktiv an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen.
In einer Welt, in der Technologien schnell voranschreiten und Konflikte komplexer werden, ist Kommunikation mehr als bloße Imagepflege. Sie gehört zur unternehmerischen Verantwortung und ist ein zentrales Mittel, um Vertrauen zu schaffen.